1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Stromkunde soll mitreden

Bernd Riegert7. August 2013

Intelligente Stromnetze, "smart grids", werden von der EU gefördert. Sie sollen die Einspeisung von Wind-, Solar- und Bioenergie erleichtern. Eine kleine Stadt in Dänemark zeigt, wie das geht.

https://p.dw.com/p/19JsE
Überland-Stromleitungen (Foto: picture-alliance/dpa)
Überland-StromleitungenBild: picture-alliance/dpa

Kalundborg, eine Industriestadt mit 17.000 Einwohnern rund 100 Kilometer östlich von Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen gelegen, ist das Vorzeigeprojekt für "intelligente Netze" und vernetzte Stadtplanung. In Kalundborg sind nicht nur die Energieversorgung, sondern auch die Wasserversorgung und die Entsorgung von Müll und Industrieabfällen intelligent geregelt. Seit über 20 Jahren setzt die Stadtverwaltung darauf, dass Industriebetriebe und Landwirtschaft aber auch die Bürger umweltfreundlich handeln. Das intelligente Stromnetz, das jetzt in Kalundborg eingeführt wird, ist sozusagen das Sahnehäubchen auf diesem Konzept.

Hafen von Kalundborg (Foto: Fotolia/Hauser)
Hafen von Kalundborg: Kraftwerk, Raffinerie, Gipsplattenfabrik und Endverbraucher teilen sich intelligente Netze für Strom und WasserBild: Fotolia/Hauser

Der Direktor des EU-Büros von Kalundborg, Martin Andersen, ist für das "smart grid" zuständig. "Im Jahre 2050 wollen wir hier in Kalundborg völlig ohne fossile Brennstoffe, also ohne Kohle, Erdöl oder Gas auskommen", sagt Martin Andersen der DW. Aus Wind und Bio-Masse soll der Strom erzeugt werden. Heute steht in Kalundborg allerdings noch das größte Kohlekraftwerk Dänemarks, das die ganze Region im Westen der Insel Seeland mit Strom versorgt. Dem intelligenten Stromnetz können die Kunden nicht nur Energie entnehmen, sie können auch selbst erzeugten Strom aus Windkraft oder Solaranlagen einspeisen. Das Netz ist also keine Einbahnstraße mehr, sondern funktioniert in zwei Richtungen. Ein Teil der Haushalte in Kalundborg hat bereits einen intelligenten Stromzähler - einen so genannten "smart meter" - der den Stromverbrauch und die Einspeisung sowie weitere relevante Daten an ein Rechenzentrum beim Stromanbieter weiterleitet. Der Vorteil für die Unternehmen, so Martin Andersen vom Projektteam in Kalundborg, liegt darin, dass sie sofort sehen und abschätzen können, wann wie viel Strom gebraucht wird. Entsprechend können Erzeugung und Verteilung des Stroms geplant werden.

Stromverbrauch nach Bedarf

So kann künftig das Energieunternehmen entscheiden, dass zum Beispiel die Batterie eines Elektroautos erst nachts bei geringer Stromnachfrage geladen werden kann. "Wir denken nicht an eine Revolution", sagt Martin Andersen. "Sie stecken das Kabel für das Elektro-Auto künftig genau so in die Steckdose wie heute das Kabel für ihr Handy-Ladegerät; ohne langes Nachdenken. Der Unterschied ist nur: Sie haben zuvor einen Vertrag abgeschlossen, der es dem Energieunternehmen erlaubt zu entscheiden, wann das Elektro-Auto aufgeladen wird. Sie räumen dem Unternehmen dieses Recht ein und bekommen dafür einen finanziellen Vorteil. Die einzige Anforderung ist: Das Auto muss morgens früh um sieben Uhr voll aufgeladen sein."

Smart Meter (Foto: Enel)
Smart meter lösen die alten Stromzähler abBild: Enel

Auch Reken wird intelligenter

In Deutschland ist eines der Versuchsfelder die Stadt Reken am Niederrhein. Hier testet der Energieversorger RWE die Einrichtung eines smart grids für die Stromverteilung. Die 14.000 Einwohner von Reken bekommen davon gar nicht viel mit, so Andreas Breuer von RWE gegenüber der DW beim "smart grids"-Gipfel in Berlin. Man wolle in Reken bis zum Jahr 2015 testen, wie man lokal erzeugte Energie und schwer vorhersehbaren Verbrauch unter einen Hut bekommen könne. Die Haushalte in Reken haben einen intelligenten Stromzähler und RWE hat bestimmte Knotenpunkte im Netz ausgebaut. Mit dem smart grid sei auch eine schnelle Reaktion bei Ausfällen möglich, so Andreas Breuer. Früher brauchte ein Bautrupp zwei Stunden bis die Störstelle gefunden werden konnte, heute geht das dank der Daten, die das Stromnetz selber liefert, in fünf Minuten.

EU fördert Hunderte Projekte

Europaweit gibt es 281 Projekte zur Erprobung eines smart grids. In 90 weiteren Projekten ist mit der Installation von intelligenten Stromzählern begonnen worden. Nach Angaben der EU-Kommission haben Stromanbieter und Netzbetreiber bislang 1,8 Milliarden Euro investiert. In einem Forschungszentrum in den Niederlanden betreibt die EU eine eigene kleine Behörde, die nichts anderes tut, als die "smart grid"-Projekte zu koordinieren. "Schließlich müssen ja die Erfahrungen, die in Italien gemacht wurden, nicht in Dänemark noch einmal gemacht werden", sagt Vinzenco Giordano, ehemaliger Mitarbeiter des europäischen Forschungszentrums. Die EU fördert Projekte in fast allen Mitgliedsländern, die Schwerpunkte der Forschung und Erprobung liegen in Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Dänemark. Nach den europäischen Gesetzen zur Energieversorgung sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, intelligente Stromzähler einzuführen. Im Jahr 2020 sollen bereits 80 Prozent aller Haushalte diese Zähler besitzen. Einige Länder haben die Zähler schon, andere - wie zum Beispiel Deutschland - stehen noch ganz am Anfang. In Deutschland ist noch nicht geklärt, welches der unterschiedlichen Zählersysteme zum Zuge kommen soll und welche Daten erhoben werden sollen. "Man darf die smart grids auch nicht überfrachten", meinte dazu Erik Landeck vom Energieversorger Vattenfall bei einem Fachkongress im Januar. Außerdem sei noch nicht klar, wer die Kosten für die smarten Zähler tragen soll. Investionsanreize für die großen Strom-Unternehmen fehlten.

"Strom-Autobahnen sind nicht das Problem"

Die vielen multinationalen Forschungsprojekte zeigten schon jetzt, dass das teuerste Problem bei der künftigen Stromverteilung nicht die Überlandleitungen, also die sogenannten Strom-Autobahnen von der Nordsee in den Süden seien. Das glaubt Gunnar Lorenz vom Verband der europäischen Strom-Industrie "Eurelectric" in Brüssel. "Die Investionsbedürfnisse im Verteilnetz sind viel größer als im Übertragungsnetz. Das wissen viele Kunden nicht."

Gunnar Lorenz (Foto: DW/B.Riegert)
Gunnar Lorenz, Europäischer Strom-VerbandBild: DW/B.Riegert

Unklar ist wie künftig Strompreise festgelegt werden. Individuell für jeden Verbraucher, regional, lokal oder national? Fragen gibt es auch noch zum Datenschutz. Nicht erst seit der aktuellen Affäre um schnüffelnde Geheimdienste fragen Verbraucherschützer, welche Daten ein "smart meter" braucht und was mit diesen Daten passiert. Theoretisch lassen sich individuelle Gewohnheiten jedes Verbrauchers ablesen. Wie lange schaut er Fernsehen? Wann steht er auf? Kocht er viel? Wie heiß ist sein Badewasser? usw.

Infografik smart grid (DW-Grafik: Simone Hüls/Per Sander)

"Prosumer" von Strom gesucht

Martin Andersen in Kalundborg setzt auf den intelligenten Verbraucher am Ende des smarten Stromnetzes, der aktiv seinen Stromverbrauch und seine Kosten managen will. Gefragt ist in Kalundborg der "Pro-sumer", eine Mischung aus den englischen Begriffen für Produzent und Verbraucher, Producer und Consumer.

Gunnar Lorenz vom europäischen Strom-Verband steht dem gezielten Management des Stromverbrauchs positiv gegenüber, denn schließlich könnte man so vorhandene Kapazitäten besser nutzen, ohne neue Kabel verlegen zu müssen. "Der Nutzen davon ist, dass das Netz nicht so stark ausgebaut werden muss. Zum Beispiel: Ich habe die Spitzenlast um 20 Uhr abends. Wenn ich da noch das Stromfahrzeug draufpacke, wird das Netz überlastet. Aber wenn ich das verschieben kann, dann kann ich das Netz entlasten. Dieser Nutzen sollte sich widerspiegeln in den Endtarifen für den Kunden, also dem Strompreis, den er zahlen sollte."