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Schlecht gerüstet - Indiens Armee ist nicht auf dem modernsten Stand

Doris Götting

Budgetkürzungen, eine restriktive Beschaffungspolitik und der für Indien typische Bürokratismus lähmen die Verteidigungskraft der beherrschenden Macht auf dem Subkontinent. Ein DW-Background vom 02.07.1999.

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Die Vernachlässigung des Verteidigungssektors steht, wie die "Financial Times" 1999 vorrechnete, in krassem Gegensatz zum verbal-nationalistischen Getöse, das nach den Atomtests 1998 wie auch nach der offenbar überraschenden Entdeckung der Infiltration pakistanischer Milizen in Kaschmir aus den Reihen der Hindu-Nationalisten und der Generalität zu vernehmen war.

Vor allem die Ausstattung der nach Kaschmir entsandten Heeresverbände ist veraltet. Die Gewehre, mit denen indische Truppen in Kaschmir zur Zeit die Eindringlinge aus Pakistan - teilweise in regelrechten Zweikämpfen mit aufgepflanztem Bajonett - zu vertreiben suchen, stammen noch aus den siebziger Jahren. Erst seit klar wurde, daß die Zahl der eingesickerten gegnerischen Truppen größer ist als anfangs angenommen, und daß für jeden gefallenen "Freiheitskämpfer" frischer Nachschub über die Kontroll-Linie zwischen dem indischen und dem pakistanischen Teil Kaschmirs kommt, setzt Indiens Luftwaffe mit ihren "Mirage-2000" modernste Waffentechnologie ein. Diese Kampfflugzeuge sind mit lasergesteuerten Bomben bestückt und auch für Nachteinsätze geeignet. Eine Satellitenüberwachung, die die höchstgelegene Demarkationslinie der Welt ganzjährig sichern würde, wurde vor zwölf Jahren bereits geplant. Die dazu notwendigen finanziellen Mittel aber wurden nie bereitgestellt.

Dabei lag der indische Verteidigungshaushalt damals noch bei 3,5 Prozent des Bruttosozialprodukts. Inzwischen sank er mit umgerechnet zehn Milliarden US-Dollar auf knapp 2,3 Prozent. Mehr als 80 Prozent der vorhandenen Mittel verschlingen allein die Personal- und Ausbildungskosten für die 1,1-Millionen-Mann-Armee. Personell ausgedünnt ist hingegen die Riege der Berufsoffiziere und Strategen. Etwa 30 Prozent der Offiziersstellen in Indien sind unbesetzt; der Militärdienst ist heutzutage nicht mehr attraktiv genug. Zwar hat Verteidigungsminister George Fernandes einen Anlauf unternommen, sein Ministerium gründlich umzustrukturieren und dem Militär mehr Einfluß bei wichtigen verteidigungspolitischen Entscheidungen einzuräumen. Er scheiterte aber am hinhaltenden Widerstand der Bürokraten.

Ausgestattet ist Indiens Armee überwiegend mit Waffen sowjetischer Bauart. Sie waren in der Anschaffung billiger, weil sie im Rahmen des indisch-sowjetischen Freundschafts- und Beistandspakts von 1971 in Rupien bezahlt werden konnten. Heute verlangt Rußlands Rüstungsindustrie auch von Indien harte Währung. Die Beschaffung innovativer Militärtechnik ist aber nicht nur durch begrenzte Mittel erschwert; ein viel größeres Hindernis stellt das indische Beschaffungswesen dar. Es liegt in den Händen ziviler Bürokraten, und die planen oft genug - so laut "Financial Times" die Einschätzung eines westlichen Verteidigungsattachés - am eigentlichen Bedarf des Militärs vorbei. Das heißt: die begrenzten Mittel werden auch noch falsch ausgegeben. Oder die Bürokraten schieben Beschaffungsgelder vor sich her, weil sie Jahre brauchen, um bestimmte Waffensysteme zu ordern. So verhandelte Indien fast zwölf Jahre lang mit British Aerospace und mit dem französischen Rüstungskonzern Dassault über den Ankauf von Jet Trainern, ohne daß es je zu Vertragsabschlüssen kam.

Sieht man vom Kauf von 48 russischen Suchoi-30 Kampfjets im Jahr 1996 ab, so hat Indien seit Ende der achtziger Jahre überhaupt keine größeren Rüstungskäufe mehr getätigt. Damals hatte der Beschaffungsskandal um den Kauf rückstoßfreier Gewehre der schwedischen Waffenschmiede Bofors zum Niedergang Rajiv Gandhis - des später ermordeten indischen Ministerpräsidenten - beigetragen. Der Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie in Indien, der erheblich Kosten sparen würde, ist ebenfalls nicht recht vorangekommen. Zwar hat die staatseigene Hindustan Aeronautics einen modernen Helikopter entwickelt und testet zur Zeit ein leichtes Kampfflugzeug. Beide Waffen-Typen sind aber noch nicht serienreif, geschweige denn einsatzbereit.

Bericht vom 02.07.1999