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Schlecht recherchiert

Bernd Gräßler, Berlin28. Dezember 2007

Die sonntägliche Krimireihe "Tatort" ist ein Zugpferd im Programm des ARD-Fernsehens. Doch die Resonanz auf den Krimi vom 23.12. überstieg alle Erwartungen.

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Bild: DW

Vor dem Hauptstadtstudio des öffentlich-rechtlichen Senderverbundes versammelten sich Hunderte Menschen: allerdings nicht vor Begeisterung über die, zugegebenermaßen, guten darstellerischen Leistungen. Ganz im Gegenteil: empörte Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Aleviten fanden den Krimi "Wem Ehre gebührt " voll daneben, oder anders ausgedrückt: diffamierend.

Er rankt sich um einen Inzest in einer alevitischen Familie. Die jüngere Tochter wird schwanger vom eigenen Vater, flüchtet zum strengen Islam und in die Verschleierung. Die ältere Tochter wird vom Vater umgebracht, weil sie zur Aufklärung beitragen will.

Ein heikles Thema, künstlerisch durchaus anspruchsvoll in Szene gesetzt. Dass der Fall ausgerechnet und ausdrücklich im Umfeld der hierzulande eher unbekannten Glaubensgemeinschaft der Aleviten angesiedelt wurde, dürfte vielleicht den einen oder anderen deutschen Zuschauer verwundert haben.

Unter den vielen in Deutschland lebenden Türken und Türkischstämmigen mag dies anders gewesen sein. Aleviten und Inzest, das ist für Türken kein zufälliges Zusammentreffen. In der Türkei kennt man den Begriff Kizilbas, der sich auf die einstige rote Kopfbedeckung der Aleviten bezieht. Er soll in älteren türkischen Wörterbüchern gleichbedeutend für jemanden stehen, der Blutschande begeht. Der Vorwurf, bei den Aleviten werde gewohnheitsmäßig Inzest getrieben, gehört dort offenbar zum Standartrepertoire aller, die diese recht liberale schiitische Glaubensgemeinschaft verunglimpfen wollen.

Das alles haben wir als normale Krimi-Konsumenten in den letzten Tagen, dank der empörten Reaktionen der Betroffenen, lernen können oder müssen.

Die Drehbuchautorin ist bei ihren Recherchen vor dem Film nach eigener Aussage auf diesen Zusammenhang nicht gestoßen. Dabei müsste doch gute Recherche nicht nur für Kriminalisten sondern auch für Krimiautoren eigentlich Pflicht sein.