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Artenvielfalt

Heiner Kiesel20. Mai 2015

Ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten in Deutschland ist vom Aussterben bedroht. "Alarmierend" findet das Bundesamt für Naturschutz und legt ein ambitioniertes Programm zum Artenschutz vor.

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Bildergalerie Artenvielfalt Deutschland
Kornblumen konnten durch Förderprogramme wieder wachsenBild: picture-alliance//blickwinkel

Richtig süß, wie die Luchsmama da ihrem putzigen Jungen zwischen Brombeertrieben und Buchenschössling zukuckt. Es ist das Titelbild des Artenschutz-Reports 2015 aus dem Bundesamt für Naturschutz (BfN). Und der ist ein Bericht des Scheiterns - auch wenn es in dem Report noch eine Menge mehr schöner Naturfotos gibt. "Der Zustand des Artenschutzes in Deutschland ist in der Tat alarmierend", liest BfN-Präsidentin Beate Jessel aus ihren Zahlen heraus. Ein Drittel der untersuchten Tierarten sei gefährdet, hebt die Landespflegerin hervor, besonders prekär sei die Situation bei wirbellosen Tieren: Ameisen, Insekten, Würmer. Bei diesen Tierarten mit einem ziemlich geringen Kuschelfaktor ist fast die Hälfte vom Aussterben bedroht. "Die stehen nicht so im Fokus von Schutzprogrammen wie Säugetiere und Vögel", erklärt Jessel - und vergisst auch das ungewisse Schicksal verschiedener Langbeintanz- und Rennraubfliegen nicht, von denen sogar zwei Drittel stark bedroht sind. Aber auch vor nicht allzu langer Zeit alltägliche Tiere sind dabei zu verschwinden – Kiebitze, Lerchen und Rebhühner.

Dabei hatte sich die Bundesregierung schon bis 2010 vorgenommen, den Artenschwund zu stoppen. Aber die Ziele sind weit verfehlt worden. "Wir haben im forstlichen Bereich 76 Prozent unsers Zielwertes erreicht, in der Landwirtschaft nur 56 Prozent", konstatiert Jessel. Wobei 100 Prozent lediglich projizieren, was sich entwickeln würde, wenn alle gesetzlichen Bestimmungen im Artenschutzbereich voll eingehalten würden. Aber die Realität zeigt in eine andere Richtung, weiß die BfN-Präsidentin. "Wir haben in der Agrarlandschaft eine beständige negative Tendenz." Die Nutzung wird immer intensiver: Grünflächen verschwinden, Pestizide und Düngemittel machen es den Tieren und Pflanzen schwer, zu überleben. Für 2020 gibt es neue Ziele auf EU- und UN-Ebene, die in einer "Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt" umgesetzt werden sollen – sie besteht aus insgesamt 330 Zielen und 430 Maßnahmen. Doch die werden wohl nicht geschafft werden, befürchtet Jessel und erwartet für den Zustand auf Deutschlands Feldern und Wiesen, dass "es in fünf Jahren noch schlechter als heute ist." Um Artenschutz gesetzlich durchzusetzen, fehlen Kontrolleure und Sanktionsmöglichkeiten, beklagt sie. Auch Klimawandel und der Hunger der Energiewirtschaft nach verwertbarer Biomasse verschlechtern die Bedingungen für Tiere und Pflanzen.

Deutschland Beate Jessel Bundesamt für Naturschutz Foto: Heiner Kiesel
Alle müssen mitmachen: Beate Jessel sieht Artenschutz als politische QuerschnittsaufgabeBild: DW/H. Kiesel
Wolf am Waldrand
Gesetzlich geschützt: Der Wolf ist nach 150 Jahren nach Deutschland zurückgekehrtBild: imago/blickwinkel

Die "Acht Punkte" des BfN

Ein Report in dem nur düstere Meldungen stehen und negative Ausblicke - eher Anlass für Resignation denn für Aktion. Das wissen auch die Autoren aus dem BfN. Deswegen werden auch einige Lichtblicke auf dem Gebiet des Artenschutzes aufgeführt. Durch strenge Schutzvorschriften, neu geschaffene Lebensräume und Wiederansiedlungen sind einige Tierarten wieder im Bestand gewachsen oder nach Deutschland zurückgekehrt. Biber, Fischotter, Seeadler und die Westliche Smaragdeidechse gehören dazu. Und schließlich wandert der vor 150 Jahren ausgerottete Wolf wieder durch das Land. "Wir sehen, dass Erfolge möglich sind", wirbt Jessel. In acht Punkten haben ihre Mitarbeiter zusammengefasst, was ein vielfältiges Tier- und Pflanzenleben in Deutschland ermöglichen könnte. Darunter sind Forderungen nach mehr nutzungsfreien Wäldern und gut vernetzten Schutzgebieten, aber auch nach einer Reform der europäischen Agrarförderung.

Bei den Umweltschutzverbänden kommt der Bericht des BfN gut an. "Der Report fasst viele verschiedene frühere Berichte kompakt zusammen - und das könnte bei den politischen Entscheidungsträgern auch etwas bewirken", hofft Till Hopf vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) im Gespräch mit der DW. Aber Hopf weiß auch, dass die ökonomischen Interessen sehr stark sind, die sich dem Artenschutz in den Weg stellen. "Da bewegt sich nur durch Druck etwas, wie derzeit durch ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof wegen einer EU-Artenschutzrichtlinie." Hopf baut darauf, dass die Subventionen an die Landwirte künftig so gestaltet werden, dass diese auch belohnt werden, wenn sie sich deutlich für die Erhaltung von Tier und Pflanzenwelt einsetzen, "dass sie eben Geld bekommen, wenn sie ihre Wiese nur zwei Mal im Jahr mähen - statt dafür, dass sie es fünf Mal tun."

Till Hopf NABU Foto: Heiner Kiesel
Till Hopf hofft auf Signale aus BrüsselBild: DW/H. Kiesel

Katastrophe mit erdgeschichtlichem Ausmaß

Weltweit gibt es rund 1,8 Millionen Arten. Das ist aber gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs, weil Experten davon ausgehen, dass viele Arten überhaupt noch nicht entdeckt sind. Es gibt Berechnungen, die von bis zu 80 Millionen Arten ausgehen. Von vielen werden wir nie erfahren. Die Wissenschaft vermutet, dass zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aufhören zu existieren, bevor sie den Forschern überhaupt unter die Augen bzw. Mikroskope kommen. Das Artensterben erschließt sich in seinem katastrophalen Ausmaß erst richtig, wenn es mit erdgeschichtlich aufgetretenen Massensterben verglichen wird, die durch die Untersuchung von Fossilien belegt werden. Die vom Menschen verursachte Aussterberate soll bis zu tausendmal höher sein als alles bisher dagewesene, vermerkt der Artenschutzreport des Bundesamtes für Naturschutz.