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Schlingensiefs Festspielhauspläne

29. Oktober 2009

Gerade ist Christoph Schlingensiefs Benefiz-Reise zu Ende gegangen, mit der er Spenden für sein geplantes Festspielhaus in Burkina Faso sammeln wollte. Braucht Afrika so einen Ort wirklich? Alexander Göbel kommentiert.

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Alexander GöbelBild: DW/Christel Becker-Rau

Ein Operndorf – zum Beispiel in Gando. Mitten im Nichts der Sahelzone. Weit entfernt von Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou. Ein ganzes Dorf mit Schule, Aids-Krankenstation, Gästehaus – und großer Festspielbühne. Ein Ort der Begegnung für Kunstschaffende aus Afrika, aus aller Welt. Das ist Christoph Schlingensiefs Vision. Sein Vermächtnis. Sein letzter Wille.

"Wiege der Oper"

Er meint es ernst. Am Grab seines Vaters hat er es geschworen, in seinem eigenen Testament steht es Schwarz auf Weiß. Vor seinem eigenen Tod will der krebskranke Regisseur, Filmemacher und Aktionskünstler der Welt etwas zurückgeben, etwas hinterlassen, in der von ihm so genannten Wiege der Oper – in Afrika. Er hätte auch zu einer Bank gehen und eine Stiftung gründen können – aber nein, es soll nochmal ein echter Schlingensief sein, sein letztes Großprojekt, an dem sich die Geister scheiden. Und das immerhin stolze 1,4 Millionen Euro kosten soll.

Kein afrikanisches Bayreuth

Er mache das nicht, beteuert er, um sich zu verwirklichen oder um ein afrikanisches Bayreuth aufzustellen. Warum dann? Wie oft hat man ihn gefragt, warum Afrika, warum Burkina Faso, warum ein Festspielhaus. Und ob die Afrikaner das überhaupt wollen. Und wie oft hat man Widersprüchliches, Nebulöses von ihm gehört. Er sagt, er wolle von Afrika klauen, um sich als leeres europäisches Blatt neu belichten zu lassen. Er behauptet, er spüre auf dem schwarzen Kontinent Kräfte, die er zu Hause nicht habe. Klingt nach romantischem Afro-Kitsch, nach lächerlichem, kindlichem Pathos, nach Gutmensch. Nach Medienclou. Klingt aber auch rührend naiv und herzergreifend. Das perfekte Drama eines sterbenden deutschen Künstlers, die selbst inszenierte Erlösungsidee eines kranken Europäers, der alles mit der Öffentlichkeit teilt – sein Leben und sein Sterben. Ein Drama, über das wir ehrfürchtig staunen sollen.

Klingt deswegen auch nach einer afrikanischen Variante von "Fitzcarraldo". Nur muss Schlingensief keinen Flussdampfer über einen Berg ziehen – er hat prominente Unterstützer hinter sich. Horst Köhler, Frank-Walter Steinmeier, Daniel Barenboim und Henning Mankell haben für sein Projekt schon dicke Schecks ausgestellt. Das Festspielhaus in Afrika ist, so scheint’s, die beste Medizin, die der Theatermacher sich derzeit verschreiben kann. Die Frage ist nur, ob Afrika diese Medizin gut tut. Will sagen: In Schlingensiefs vielleicht letzter Inszenierung seiner selbst macht er Afrika zur exotischen Kulisse. Gerade in der Auseinandersetzung mit seiner Krankheit, sagt er, sei sein Wunsch von einem Festspielhaus so etwas wie eine innere Notwendigkeit geworden. Nur hat dieser Wunsch nichts mit Afrika zu tun!

Schulen statt Theater

Es ist eine Projektionsfläche seiner privaten Träume – kein Hilfsprojekt. Wäre es das, dann müssten in Burkina Faso bereits erste Schulgebäude stehen - eine einfache Schule mit drei Klassen kostet dort weniger als 30.000 Euro. Und man kann darüber streiten, ob es besser ist, elf Container mit einem von der Ruhrtriennale gestifteten Theater nach Afrika zu verschiffen oder vor Ort mit den Burkinabé ein neues zu bauen. Wie soll der Betrieb finanziert werden? Was, wenn das Operndorf irgendwann zu einem "weißen Elefanten“ wird? So manches Projekt ist schließlich an der Arroganz und Ignoranz westlicher Entwicklungsexperten gescheitert.

Schlingensief schreibt auf seiner Homepage, sein Opernhaus werde in Afrika die Entwicklungshilfe revolutionieren. Klingt nett – geht aber gründlich an der Realität vorbei. Hand aufs Herz – auch wenn die Idee kühn, verlockend und beeindruckend daherkommt und man geneigt ist, dem Kulturidealisten zu gratulieren: Wer will ernsthaft behaupten, dass ein Opernhaus zur Top Ten der Bedürfnisse der Menschen im Sahel gehört? In Afrika haben sie nicht auf Schlingensief gewartet.

Dramatisches Kulturprojekt

Trotzdem finden es - hierzulande - natürlich alle toll. Was gibt es für das Goethe-Institut und auch die deutsche Außenpolitik denn Schöneres, als endlich mal mit einem im wahrsten Sinne dramatischen Kulturprojekt Aufsehen zu erregen und für die eigene Arbeit auf dem afrikanischen Kontinent zu werben? "Kunst als Transportmittel des Dialogs" – sagt Henning Mankell, selbst Theaterbetreiber in Mosambik. Geschenkt! Denn darum geht es gar nicht. Es heißt "Festspielhaus Afrika und nicht "für" Afrika. Lässt man das Pathos beiseite, ist es ein exotisches Kapitel in Schlingensiefs kreativem Egotrip. Nicht mehr und nicht weniger.

Bleibt die Frage nach dem Warum. Da keine klare Antwort von Christoph Schlingensief zu erwarten ist, müssen wir uns mit der von Joseph Beuys begnügen: "Wir wissen noch nicht, warum wir das hier machen. Aber in der Zukunft werden wir das verstehen." Im Falle des Festspielhauses Afrika darf man durchaus seine Zweifel haben. Auch in Gando, dem kleinen Dorf in der Sahelzone.

Redaktion: Christine Harjes