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Schluss mit dem Gedudel

28. April 2010

Am Mittwoch ist der "Tag gegen den Lärm". Das Motto lautet: Kostbare Ruhe – teurer Lärm. 60 Prozent aller Deutschen fühlen sich mittlerweile durch Lärm in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Muss das eigentlich sein?

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Bild: DW / Christel Becker-Rau

Es gibt kein Entrinnen. Ob im Supermarkt, im Fahrstuhl, in der Warteschleife einer Telefon-Hotline - überall werden wir beschallt. Auch in Münchner U-Bahnhöfen. Dort rieselt leise Klassik-Musik aus den Lautsprechern, von Vivaldi, Mozart oder Bach. Eine Idee der Münchner Verkehrsgesellschaft, die auf diese Weise eine "beschwingte, angenehme und entspannte Atmosphäre" schaffen möchte. Das Umweltbundesamt warnt bereits vor zu hoher Lärmbelastung in Deutschland. Es spricht davon, dass etwa 13 Millionen Deutsche gesundheitlichen Schaden genommen haben, indem sie zum Beispiel unter Schlafstörungen leiden.

Krach stört das Denken

Frau hält sich die Ohren zu
Lärm macht krank!Bild: picture alliance / dpa Themendienst

Bereits 1843 war der alltägliche Krach für die Menschen unerträglich, so jedenfalls schreibt es der Philosoph Arthur Schopenhauer in einem Essay über die Belästigung des Denkens durch Lärm und Geräusche. "Die Sache des Peitschenknallens der Fuhrwerke, stellt sich dar als reiner Mutwille, ja als frecher Hohn. Dass eine solche Infamie in Städten geduldet wird, ist eine große Barbarei und eine Ungerechtigkeit, umso mehr, als es gar leicht zu beseitigen wäre. Durch polizeiliche Anordnungen." Mehr als hundert Jahre später macht auch der Münchner Publizist Hans Magnus Enzensberger seinem Unmut über die musikalische Dauerbeschallung Luft: "Obwohl praktisch die gesamte Bevölkerung der Republik zu den Betroffenen zählt, steht die Gruppe der Musikopfer einzig da. Sie wird nicht bedauert, sondern verhöhnt. Jeder Moslem, der sich weigert, Schweinefleisch zu essen, kann auf inniges Verständnis rechnen. Pollenwarnungen erfüllen den Äther. Überall zarte Rücksicht. Nur der Schallallergiker sieht sich einem brutalen Kesseltreiben ausgesetzt."

Dudelstopp – Eine Aktion gegen musikalische Bedröhnung

"Schluss damit!" - das fordern Lärm-Gegner wie der Hamburger Mediensoziologe Hartmut Lühr. 2007 hat er den Verein Dudelstopp ins Leben gerufen, der mit satirischen Mitteln auf das Problem aufmerksam machen will. "Die Gegner der musikalischen Dauerbeschallung haben keine Lobby. Und das, obwohl das Problem zunimmt. Wir wollen diese Leute unterstützen", sagt Hartmut Lühr. Lärmopfer sollten eine finanzielle Entschädigung erhalten. Der Vorschlag ist lustig bis absurd. Der Supermarkt-Filialleiter soll demnach nicht die Künstler bezahlen, deren Musik er spielt, sondern die Kunden, denen er diese Musik aufzwingt.

"Dudelstop e.V." ist nicht der einzige Gegner von Dauerbeschallung. Eine Bewegung gegen akustische Belästigung gibt es bereits seit Anfang der 90er Jahre. Sie kommt aus England und nennt sich "Pipe-Down". Das bedeutet: "Lautsprecher aus!". Immer mehr Menschen setzen sich zur Wehr. Unter ihnen auch prominente Unterstützer wie der Konzertpianist Alfred Brendel, Dirigent Sir Simon Rattle, Regisseur Stephen Fry, der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger oder Helmut Schmidt. Und die Liste wird immer länger.

Lärm schadet der Gesundheit

Autoverkehr
30 km/h würde wesentlich weniger Krach verursachen

Das Gedudel ist nur eine von vielen tagtäglichen Lärmbelästigungen. Hinzu kommt eine Langzeitbelastung durch Verkehrslärm mit weitreichenden Folgen. In Europa ist der Krach, den Autos und Flugzeuge verursachen für bis zu drei Prozent aller tödlichen Herzanfälle verantwortlich. In Deutschland sollen jährlich bis zu 4000 Todesfälle auf das Konto des Verkehrslärms gehen. Und Lärm ist teuer. So mussten laut Angaben der Berufsgenossenschaft Bau im Jahr 2008 knapp 19 Millionen Euro für Hörgeschädigte ausgegeben werden.

In New York steht deshalb das Verursachen von Lärm unter Strafe. Wer beim Hupen erwischt wird, dem droht eine Geldstrafe von 350 Dollar. In Paris werden an den Wochenenden ganze Straßenzüge für den Autoverkehr gesperrt, um die Menschen zumindest an diesen Tagen vor dem Straßen-Krach zu bewahren. Der neue Terminal des Flughafens Madrid-Bajaras, gebaut vom Pritzker-Preisträger Richard Rogers, gibt sich stolz den Titel "Silent Airport". Dort verzichtet man auf die allgemeine Ansagen und verbreitet nur noch das Allernötigste via Lautsprecher. Gleiches ist übrigens auch beim Neubau des Großflughafens Berlin-Brandenburg International (BBI) geplant.

Lärmschutz – aber wie?

Lärm im Garten Rasenmäher
13 Millionen Deutsche fühlen sich von Alltagsgeräuschen belästigtBild: picture-alliance / maxppp

Eine weitere wichtige Maßnahme sehen Experten darin, die Geschwindigkeit in den Städten auf 30 km/h zu reduzieren. Zwar verursachen neuere Motoren immer weniger Lärm, doch dieser Effekt wird durch die wachsende Zahl von Autos mit immer stärkeren und größeren Motoren aufgehoben. Bei einer Geschwindigkeit ab circa 30 km/h kommen auch noch die Reifengeräusche hinzu, bei hohen Geschwindigkeiten entstehen zusätzlich Windgeräusche.

Wegen der gesundheitlichen Belastungen fordert die Weltgesundheitsorganisation ein Lärmschutzgesetz. Und plädiert für eine nächtliche Lautstärke-Obergrenze von 55 Dezibel, langfristig sollen es sogar 40 Dezibel werden. Eine erste Lärm-Grenze, an der sich alle Verkehrsträger und Infrastrukturplaner orientieren müssten, doch ein Datum für die Realisierung steht noch nicht fest.

Autor: Christoph Richter

Redaktion: Sabine Oelze