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Schmerz und Kunst

Oliver Samson2. Februar 2003

Wenn Deutsche mit Bällen spielen, ist meist der Spott nicht weit: Kein Gefühl, keine Technik. Nur dass sie gute Torhüter haben wird den ungelenken Deutschen stets bescheinigt. Wie gerade bei der Handball-WM.

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Jubel vor dem WM-Finale: Handball-Torwart Henning FritzBild: AP

Auch wenn es mit dem WM-Titel nicht geklappt hat, sind sich Journalisten, Fachleute und Laien einig. Der Erfolg der deutschen Handballer ist vor allem einem überragenden Torhüter zu verdanken ist: Henning Fritz. Dank seiner Paraden schaffte es das deutsche Team ins Finale am Sonntag (2.2.2003), das mit 31:34 gegen Kroatien verloren ging.

Der Kieler Fritz ist damit auf dem besten Weg, sich in eine große Traditionslinie einzureihen: Toni Thurek, Sepp Maier, Toni Schuhmacher und Oliver Kahn im Fußball, Karl Friesen und Klaus Hirche im Eishockey, Wieland Schmidt, Stefan Hecker und der "Hexer" Andreas Thiel im Handball – so viele Weltklassespieler zwischen den Pfosten kann kein andres Land bieten. Egal in welchem Sport, sogar beim Wasserball. Noch nie gab es in Deutschland ein Torwartproblem. Zufall?

"Für die große Kunst zu doof"

"Ich glaube nicht", meint Wieland Schmidt. Der 48-Jährige ist eine dieser deutschen Legenden im Tor. Nach Meinung seiner Kollegen war er zu seiner aktiven Zeit in der DDR der beste Handball-Torhüter aller Zeiten. Für ihn hat die Stärke der deutschen Torleute mit einer speziellen Definition von Leistung zu tun. Auch Tor verhindern werde in Deutschland geschätzt. In anderen Nationen sei nur der Torschütze ein Held und Künstler, der Torwart aber nichts. "Er macht nur die Drecksarbeit, für die große Kunst aber ist er zu doof."

Das sehen deutsche Torhüter in der Tat anders. "Kunst, keine Destruktion", sieht Andreas Thiel im Spiel des Torwarts. Kunst, die aus Psychologie, Kreativität, Bewegungsgefühl, Mut und Konzentrationsfähigkeit besteht. Wieland Schmidt zählt dazu noch die Ignoranz von Risiken. "Als Torwart muss ich mich der Gefahr entgegenwerfen. Ich weiß, dass es weh tun wird."

Konzentration gegen Schmerz

Henning Fritz
Erfolg heißt Schmerz: Fritz im Spiel gegen Jugoslawien (31:31)Bild: AP

Handball-Torhüter stellen ihre Körper Würfen entgegen, die mit etwa 160 Stundenkilometern auf sie zufliegen. Erfolg ist, wenn sie getroffen werden. Erfolg ist, wenn es weh tut – und der Erfolg lässt den Schmerz dann doch vergessen. Im WM-Spiel gegen Island war Henning Fritz nach eigenem Bekunden "so heiß, da spürst du gar nichts." Selbst einen schweren Kopftreffer steckte Fritz weg - Handball-Torhüter dürfen nicht zimperlich sein. Sie sind so angespannt, dass sie außerhalb des Spieles alles ausblenden können, auch den Schmerz. Torhütern ist eine Konzentrationsfähigkeit eigen, die sich auch körperlich äußert. Konzentration wird zu Schweiß, Torhüter schwitzen mehr als jeder andere Spieler. Obwohl sie sich vergleichsweise wenig bewegen.

Torwartspiel ist eine Frage der Nerven. Wenn sich der Torhüter zu früh bewegt, hat er verloren. "Ausgucken" nennen das die Handballer. Torhüter müssen Ruhe entwickeln, um dann blitzschnell reagieren zu können. Das bedarf Erfahrung: Es gibt keine jungen Weltklasse-Torhüter. In keiner Sportart und auch nicht in Deutschland.

Die halbe Miete

Stefan Hecker spielt auch im Alter jenseits der 40 noch in der Handball-Bundesliga - der anerkannt stärksten Liga der Welt. Henning Fritz ist gerade 28 Jahre alt und somit erst am Anfang seiner "goldenen Jahre". Er natürlich weiß, dass im Handball ein guter Torhüter als die "halbe Miete" gilt. Fritz will seine Hälfte einbringen, dass Deutschland Handball-Weltmeister wird. Ein Titel, den Deutschland erst einmal erringen konnte: 1978, in einem dramatischen Endspiel gegen die Sowjet-Union. Ein Spieler war dabei überragend: der deutsche Torhüter.