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Schmerzlicher Lernprozess

Sybille Golte29. März 2005

Das Krisenmanagement nach dem erneuten Seebeben zeigt, wie Tsunami-Vorbeugung funktionieren kann - und auch in Zukunft funktionieren sollte.

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Die Duplizität der Ereignisse ist schon erstaunlich: Fast auf den Tag genau drei Monate nach dem verheerenden Seebeben im indischen Ozean, das rund 300.000 Menschenleben forderte, schlugen am Montag (28.3.05) die Seismographen erneut Alarm. Wieder wurde ein Beben von ungewöhnlicher Stärke registriert, wieder lag das Epizentrum direkt vor der Küste Sumatras.

Doch hier endete die Ähnlichkeit. Der Tsunami, die verheerende Flutwelle, blieb aus. Glück im Unglück? Nicht nur das. Diesmal reagierten alle Beteiligten der Lage entsprechend: Die Erdbebenwarten gaben ihre Informationen unverzüglich weiter. In den Tsunami gefährdeten Regionen in Indien, Sri Lanka und Thailand wurde die Bevölkerung durch Medien, Lautsprecher, örtliche Behörden und alle zur Verfügung stehenden Kommunikationswege aufgefordert, die
Küstenregionen zu verlassen.

In den Gebieten, in denen das Erdbeben selbst zu spüren war, bedurfte es solcher Warnungen nicht. In der indonesischen Provinz Aceh flohen die Menschen auch ohne Vorwarnung ins Landesinnere und in höher gelegene Regionen.

Nichts kann die Ereignisse des 26. Dezember ungeschehen machen. Aber dennoch lohnt der Blick zurück und ein Vergleich: Das Beben vom 28. März zeigt, dass es Möglichkeiten gibt, die Katastrophe zumindest zu begrenzen, wenn bei allen Verantwortlichen das entsprechende Bewusstsein vorhanden ist. Genau über diesen Punkt ist aber in den letzten Monaten viel zu wenig gesprochen worden.

Diskutiert wurde vor allem über die Installation eines großen High-Tech-Tsunami-Frühwarnsystems, das nun auch in etwa einem Jahr im indischen Ozean eingerichtet werden wird. Auf einer UN-Konferenz in Kobe in Japan gab es wochenlange Verhandlungen über Zuständigkeiten, Koordination und Konzepte für ein solches System, bei denen natürlich auch wirtschaftliche Interessen eine herausragende Rolle spielten.

Wieder einmal bestimmte der Glaube, Naturgewalten mit Hochtechnologie beherrschen zu können, die Diskussion.
Andere Faktoren, die mindestens ebenso wichtig für den Schutz der Küstenanrainer sind, kamen nicht zur Sprache. Warnungen dürfen nicht - wie beim großen Dezember-Tsunami in Thailand geschehen - mit Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen ignoriert werden. Informationen über Gefahren, auch wenn sie von Erdbebenwarten weit entfernt vom Epizentrum gemessen werden, müssen über nationale Grenzen hinweg an die Betroffenen weitergemeldet werden.

Vor dem Tsunami hatten die meisten Menschen in den Küstenregionen das Gefühl für die Gefahren der Natur verloren. Touristen beobachteten an den Stränden Thailands fasziniert die heranrollende Welle, in Sumatra folgten viele dem sich zurückziehenden Wasser, um dann von der Welle verschlungen zu werden.

Ein Tsunami-Frühwarnsystem aber kann nur funktionieren, wenn alle Faktoren zusammenspielen. Die Warnung darf nicht nur mit Sensoren registriert, sie muss auch die Betroffenen erreichen - sonst nützt sie nichts. Die Menschen an den Küsten des pazifischen Ozeans müssen sich der Gefahren der immer wieder auftretenden Seebeben bewusst sein und aus ihrer Geschichte lernen.

Das neuerliche schwere Seebeben zeigt, dass die Menschen in den Katastrophengebieten diesen Lernprozess auf schmerzliche Weise vollzogen haben: Noch vor der Installation des Frühwarnsystems haben sie jetzt auf die
Naturgewalten richtig reagiert. Der nächste Tsunami schlägt vielleicht an einer anderen Küste und vielleicht erst nach Jahren oder Jahrzehnten zu. Hoffentlich gibt es dann nicht nur ein funktionierendes Frühwarnsystem, sondern auch das jetzt noch vorhandene Bewusstsein, wie mit der drohenden Gefahr umgegangen werden muss. Die Lehren der Flut dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Und dies gilt nicht nur für die Überlebenden der Katastrophe in Sumatra, Sri Lanka, Indien oder Thailand.