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Schmitt schwächt Orbán

Keno Verseck3. April 2012

Der ungarische Staatspräsident ist zurückgetreten, nachdem ihm sein Doktortitel aberkannt wurde. Schmitt galt als williger Helfer des Regierungschefs. Sein unfreiwilliges Abdanken ist auch für Orbán eine Niederlage.

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Ungarns Präsident Pal Schmitt tritt zurück(Foto:MTI, Laszlo Beliczay/AP/dapd)
Ungarns Präsident Pal Schmitt tritt zurückBild: AP

Es war ein unrühmlicher und entwürdigender Abgang: Fast eine geschlagene Viertelstunde beschwerte sich der Noch-Staatspräsident und Olympiasieger im Degenfechten von 1968 und 1972 über fehlende Fairness und ungerechtfertigte Angriffe gegen seine Person. Er beschuldigte die Opposition, dass sie ihn als Betrüger, Dieb und Lügner abgestempelt habe und warf nicht namentlich genannten "Vaterlandsverrätern" vor, sie hätten die Vorwürfe gegen ihn auch im Ausland verbreitet. Ungarn, so Schmitt, werde international herabgewürdigt und sein höchster Repräsentant, also er selbst, "entehrt". Er verteidigte seine Doktorarbeit und kündigte an, gegen die "ungesetzliche und unethische" Aberkennung des Doktortitels notfalls vor Gericht zu ziehen.

Erst ganz am Schluss fiel der einzig präsidiale Satz der Rede: "In dieser Situation, da meine persönlichen Angelegenheiten meine geliebte Nation eher spalten als vereinen, empfinde ich es als Pflicht, meinen Dienst zu beenden und von meinem Präsidentenmandat zurückzutreten."

Bei einem Bulgaren und einem Deutschen abgeschrieben

Es war das Ende einer Affäre, die sich drei quälende Monate lang hingezogen hatte. "Nun hat die Logik doch über die Irrationalität gesiegt", heißt es in einem Leitartikel des meistgelesenen ungarischen Nachrichtenportals index.hu, das sei "eine gute Nachricht".

Anfang Januar hatten Journalisten der angesehenen ungarischen Wochenzeitung Heti Világgazdaság (Wöchentliche Weltwirtschaft) herausgefunden, dass Pál Schmitt den größten Teil seiner 1992 eingereichten Doktorarbeit "Analyse der Programme der neuzeitlichen olympischen Spiele" aus der Arbeit des 2005 verstorbenen bulgarischen Sportwissenschaftlers Nikolai Georgijew abgeschrieben hatte. Schmitt habe eine Übersetzung von Georgijews Werk, das dieser 1987 verfasst hatte, "Wort für Wort übernommen", ohne dies kenntlich zu machen.

Dabei handelte es sich offenbar um ganze 180 von 215 Seiten der Schmittschen Doktorarbeit. Später hatte das Nachrichtenportal index.hu herausgefunden, dass Schmitt außerdem Passagen einer Studie des Hamburger Sportsoziologen Klaus Heinemann übernommen und als seine eigenen ausgegeben hatte.

Budapester Kommission beschuldigt Promotionsbetreuer

Schmitt bestritt die Vorwürfe von Anfang an vehement. Dennoch untersuchte eine Kommission der Budapester Semmelweis-Universität den Plagiatsverdacht. Das Urteil kam letzte Woche - ironischerweise zur selben Zeit, als Pál Schmitt bei einem Besuch in Südkorea zum "Ehrenstudenten" der Seouler Hankuk-Universität ernannt wurde. Die Kommission stellte fest, dass nicht weniger als 197 der 215 Seiten von Schmitts Doktorarbeit ein Plagiat seien.

Allerdings, so stellte die Kommission fest, trage nicht Schmitt, sondern sein Promotionsbetreuer an der damaligen Budapester Sporthochschule die Schuld: Diese hätte ihn auf die fehlende Kenntlichmachung von Zitaten hinweisen müssen. Ungeachtet dessen erkannte die Budapester Semmelweis-Universität Schmitt am 29. März den Doktortitel ab.

Noch zwei Tage später wehrte sich Schmitt in einem Fernsehinterview vehement gegen den Entzug seines Titels und gegen alle Rücktrittsforderungen. Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orbán stärkte Schmitt den Rücken: Mehrfach erklärte er, der Präsident sei "unantastbar" und als Premier stehe er voll und ganz zu ihm. Doch da hatte sich in Orbáns eigener Partei, dem "Bund Junger Demokraten – Ungarische Bürgerallianz" (Fidesz-MPSZ), schon Unmut breit gemacht. Intern forderten immer mehr Fidesz-Politiker Schmitts Rücktritt. Das regierungsnahe Blatt Magyar Nemzet (Ungarische Nation) schrieb in einem Leitartikel: "Herr Präsident, überlegen Sie noch mal! Je später, desto schlechter. Für Sie und für uns."

Eine Niederlage für Regierungschef Orbán

Das interne Tauziehen um Schmitts Rücktritt hatte auch politische Gründe: Im postkommunistischen Ungarn kam es schon häufig zu Konflikten zwischen Staatspräsidenten und Regierungen. Zwar hat der ungarische Staatspräsident - ähnlich wie in Deutschland - nur eine repräsentative Funktion. Doch er kann beispielsweise das Inkrafttreten von Gesetzen blockieren, indem er sie nicht unterschreibt. Árpád Göncz, Ungarns erster und bis heute hochangesehener postkommunistischer Staatschef, versuchte auf diese Weise nach 1990, die demokratische Entwicklung in seinem Land zu sichern – und geriet so regelmäßig in Konflikt mit den Regierenden. Auch Schmitts Vorgänger, der Verfassungsrechtler László Sólyom, galt als unbequemer Präsident.

Ungarn Premierminister Viktor Orban (Foto: EPA/PATRICK SEEGER)
Ungarn Premierminister Viktor OrbánBild: picture-alliance/dpa

Viktor Orbán hatte Pál Schmitt im Frühjahr 2010 vor allem deshalb für das Amt des Staatspräsidenten nominiert, weil er als williger Helfer des Regierungschefs galt. Und tatsächlich: Er unterschrieb Hunderte von Gesetzen ohne Widerrede. Darunter auch solche, die laut Auffassung vieler Juristen und Staatsrechtler im Land die demokratischen Institutionen schwächen und den Rechtsstaat untergraben.

Präsidiale Entwürfe mit Rechtschreibfehlern

Schon vor der Plagiatsaffäre machte Schmitt in peinlicher Weise auf sich aufmerksam: zum Beispiel durch seine Probleme mit der ungarischen Rechtschreibung. Mal schrieb er das Wort "Staatschef" falsch, mal enthielt ein Entwurf des Präsidialamtes für die neue ungarische Verfassung, in dem der besondere Schutz der "einzigartigen" ungarischen Sprache gefordert wurde, orthografische Fehler.

Ganz geschlagen will sich der ehemalige Leistungssportler nicht geben: Schmitt will gerichtlich gegen den Entzug seines Doktortitels vorgehen, außerdem kündigte er an, auch noch eine neue Doktorarbeit schreiben zu wollen. Er werde beweisen, dass er auch als 70-Jähriger dazu noch in der Lage sei, sagte er in seiner Rücktrittsrede vor dem Budapester Parlament. Das Thema nannte er gleich noch dazu: Es werde in seiner neuen Doktorarbeit um die Verbindung von Umweltschutz und Sport sowie um die Rolle des Sportes für nachhaltige Entwicklung und Naturschutz gehen. Die Abgeordneten der Regierungspartei quittierten die Ankündigung mit stehenden Ovationen.