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Schmuggel, Visa, Wartezeiten

22. Juni 2004

- Reportage vom polnisch-belarussischen Grenzübergang

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Bonn, 22.6.2004. DW-RADIO / Nina Werkhäuser

Seit dem EU-Beitritt Polens am ersten Mai diesen Jahres ist die Grenze im Osten Polens gleichzeitig die neue Außengrenze der Europäischen Union. Dafür, dass niemand illegal einreist und dass der Schmuggel unterbunden wird, sind seither die polnischen Beamten verantwortlich. Und die haben, wie Nina Werkhäuser berichtet, nun alle Hände voll zu tun:

Futuristisch sieht er aus, der Grenzübergang Koroszczyn im Osten Polens: Ein hochmodernes Terminal, an dem die Lastwagen abgefertigt werden. Seit dem 1. Mai endet hier die Europäische Union, auf der anderen Seite liegt Belarus. Ein massiver Zaun und 64 Überwachungskameras leiten die Autos bis zum Zoll, Ausweichen auf Schleichwege ist zwecklos. Die neue Außengrenze der Gemeinschaft wird scharf bewacht, Schmuggler und illegale Einwanderer sollen hier keine Chance haben. Ist die Grenze jetzt dicht? "Gerade hatten wir wieder einen illegalen Grenzübertritt", sagt Major Wojciech Woloch, der Kommandeur des Grenzübergangs.

"Also, zum belarussischen Grenzschutz möchte ich mich nicht äußern. Aber unsere Grenze und unsere Sicherung sind notwendig, das zeigen die mehr als 10.000 Personen, die wir im letzten Jahr zurückgeschickt haben."

Weil sie keine gültigen Visa hatten oder gefälschte Dokumente, wiesen die polnischen Grenzschützer die Menschen zurück. Seit dem EU-Beitritt wird mit noch mehr Beamten noch genauer kontrolliert. Aber die Zigarettenschmuggler werden immer erfinderischer, verstecken die Glimmstängel in Teerfässern, Kabeltrommeln und Tiefkühlkost, erzählt Agnieszka Labedzka, die Leiterin des Zollamtes:

"In den letzten Jahren haben wir an den Marken der geschmuggelten Zigaretten sehen können, dass sie für den britischen Markt bestimmt waren. Das hat sich in den letzten Wochen geändert. Jetzt sind es Marken, die in Frankreich gängig sind, und vor allem solche, die für den deutschen Markt bestimmt sind."

Die Lastwagenfahrer, die in Koroszczyn auf die Abfertigung warten, beschweren sich nicht über die Kontrollen. "Es geht meistens sehr schnell, in ein oder zwei Stunden sind wir durch", erzählen sie. Anders ist es bei Privatleuten, die an der neuen Außengrenze der EU unterwegs sind. "10 Stunden Wartezeit im Auto sind keine Seltenheit, wenn man von Belarus nach Polen rüberwill", klagt der Pole Marcin Rebacz, der der belarussischen Minderheit angehört. Im Sommer bei Hitze, im Winter bei Kälte, Toiletten gebe es auch nicht. Vor allem stört den zweisprachigen Rebacz aber die Behandlung durch seine eigenen Landsleute, die beim Zoll arbeiten.

"Ich fahre oft in Autos mit belarussischem Kennzeichen nach Polen, die Grenzer wissen also nicht, dass ich Pole bin. Dann blaffen sie mich an: Koffer aufmachen! Was hast du da? Wohin fährst du? Dieser rüde, aggressive Ton ist an der Tagesordnung. Erst wenn ich mich als Pole zu erkennen gebe, werden sie etwas freundlicher."

Das entscheidende Datum für die Verschärfung der Grenzkontrollen war allerdings nicht der 1. Mai 2004, sondern der 1. Oktober 2003. Seitdem brauchen Belarussen und Ukrainer ein Visum für Polen - eine Bedingung der EU vor dem Beitritt. Für die Menschen jenseits der polnischen Grenze ist die Europäische Union dadurch weiter weggerückt. Dabei seien nicht allein die Kosten für das Visum das Problem, erzählt Grenzgänger Marcin Rebacz.

"Die Belarussen müssen an der Grenze einen Betrag von 300 Zloty (rund 60 Euro) für jeden Tag ihres Aufenthalts vorweisen, um nach Polen reingelassen zu werden. Das ist für viele ein sehr großes Hindernis, weil sie das Geld einfach nicht haben."

Franciszek Gruszkowski, der Bürgermeister des polnischen Grenzstädtchens Wlodawa, sieht die Visapflicht positiver: "Die Ganoven, die wir hier nicht haben wollen, bleiben draußen." Gruszkowski, dessen Städtchen im polnisch-ukrainisch-belarussischen Dreiländereck von hoher Arbeitslosigkeit geplagt wird, will auf seine Weise von der Grenze profitieren: Er plant den Bau eines Aufnahmelagers für Flüchtlinge, die an der polnischen Ostgrenze aufgegriffen werden. "Das schafft Arbeitsplätze", meint er pragmatisch. Eine Brücke über den Grenzfluss Bug soll ebenfalls entstehen, auch wenn der Stadtteil auf der belarussischen Seite nach dem Krieg plattgemacht wurde.

Für solche Überlegungen haben Grenzkommandeur Wojciech Woloch und seine Zollchefin Agnieszka Labedzka keine Zeit. Ein modernes Terminal haben sie schon, aber bei den Kontrollen schaut ihnen der Rest der EU seit dem 1. Mai ganz genau auf die Finger. Im Jahr 2003 wurden immerhin 1140 Fahrzeuge an der polnischen Ostgrenze beschlagnahmt, außerdem 122 Ikonen. Aber nicht alle Probleme kommen von außen: Im April wurden an einem Grenzübergang weiter südlich 23 polnische Grenzbeamte festgenommen, weil sie sich die schnelle Abfertigung von ukrainischen Reisenden hatten bezahlen lassen.

"Das Thema Korruption ist für uns kein Tabu, und wir haben auch keine Angst, darüber zu sprechen. Dieses Thema macht immer wieder Schlagzeilen in Polen, und die Öffentlichkeit interessiert sich dafür. Wir können damit aber ganz unverkrampft umgehen, weil wir die Korruption sehr intensiv bekämpfen durch die sogenannte "innere Kontrolle", mit der wir die Beamten und ihre Arbeit überprüfen."

Die innere Kontrolle besteht am Grenzübergang Koroszczyn aus einem automatisierten Abfertigungssystem: Die Lastwagenfahrer werden den Zöllnern per Zufallsgenerator zugewiesen, Bestechung soll so verhindert werden. "Ein fester Job ist hier im Osten Polens doch viel Wert", meint Labedzka, "wer wird den schon leichtfertig aufs Spiel setzen?" (fp)