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Schnee ist nicht gleich Schnee

22. Dezember 2009

Christine Pielmeier hat erst nach zehn Jahren in einer Bank zu ihrer wahren Profession gefunden: Schneeforscherin. Ein Gespräch über zarte Flocken, fiese Lawinen und warum der Schnee noch immer nicht ganz erforscht ist.

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Steilhang in den Schweizer Alpen (Foto: SLF/Pielmeier)
Bild: SLF/Pielmeier

Im zarten Alter von drei Jahren ging Christine Pielmeier im Karneval mal als Schneeflöckchen. Heute ist die promovierte Geografin 46 und wohnt in der Nähe von Davos, in der Schweiz. Sie arbeitet dort am Institut für Schnee- und Lawinenforschung, ihr Spezialgebiet sind Lawinen. Sie liebt Schnee und je mehr sie darüber gelernt hat, desto mehr Respekt hatte sie davor.

dw-world.de: Was fasziniert Sie denn so an den Schneeflöckchen?

Schneeforscherin Christine Pielmeier (Foto: SLF/Pielmeier)
Christine Pielmeier in der Lawinen-WarnzentraleBild: SLF/Pielmeier

Christine Pielmeier: Dass es eigentlich alles das gleiche Material ist, nämlich gefrorenes Wasser, Eis eben, chemisch gesehen ein Monokristallin. Aber in dieser Einfachheit steckt eine große Vielfalt, weil der Schnee so nahe an seinem Schmelzpunkt ist. Eisen schmilzt bei rund 1500 Grad Celsius, Schnee schmilzt bei Null Grad. Die normale Schneetemperatur im Hochwinter ist bei minus zehn bis minus 15 Grad, das heißt, der Schnee ist sehr nahe an seinem Schmelzpunkt. Und ein festes Material, das so nahe an seinem Schmelzpunkt ist, ist sehr aktiv. Es verändert sich ständig. Schnee ist nicht gleich Schnee. Das ganze Spiel von der Physik im Schnee und den äußeren Einflüssen, das finde ich sehr faszinierend.

Haben Sie und Ihre Kollegen da nicht inzwischen längst alles erforscht – wie solch ein Schneemolekül aufgebaut ist, wie es sich verändert…?

Nein. Wir setzen zum Beispiel seit knapp zehn Jahren einen Mikrocomputertomografen ein um die Schneeumwandlung zu beobachten – in höchster Auflösung, dreidimensional, wie ein Film kann man dann sehen, was in dem Schnee passiert. Wie genau die Kristalle sich verändern.

Querschnitt einer Schneedecke (Foto: SLF/Pielmeier)
Die Schichten des Schnees - in einer ProbeBild: SLF/Pielmeier

Ich erforsche, wie sich Lawinen bilden. Ich möchte verstehen, wie das Zusammenspiel von Festigkeit der Schneedecke und Belastung der Schneedecke aus dem Gleichgewicht gerät und zu einem Lawinenabgang führt. Von Januar bis März zum Beispiel werde ich mit einem Studenten unterwegs sein und Schneeprofile erstellen, Stabilitätstests machen, die Härte der einzelnen Schichten testen – um herauszufinden, wie viele Messungen man braucht, um relativ zuverlässig eine Stabilitätsvorhersage für einen Hang machen zu können.

Sie beschäftigen sich jetzt seit rund zehn Jahren mit dem Schnee und vermessen die Schneedecken – was wissen Sie denn noch nicht?

Man weiß zum Beispiel heute immer noch nicht im Detail, wie dieser Bruchprozess passiert – durch den es zu einem Lawinenabgang kommt. Man kann in dem Moment ja keine Instrumente in den Schnee stecken, das geht ja alles kaputt. Man hat nur Hypothesen, die man in Tests überprüfen kann. Man kann den Prozess auch nicht wirklich gut im Labor nachbilden. Die Theorie ist, dass in schwachen Schichten, die wenig verfestigt sind, kleine Brüche anfangen, die breiten sich aus und wenn dieser Bruch sich über eine gewisse Distanz ausweiten kann, kommt es zu einer Lawine. Und in diesem Bereich forschen wir: wie groß müssen die Distanzen sein?

Schneeforscherin Christine Pielmeier bei Messungen in einem Schneesturm (Foto: SLF/Pielmeier)
Messungen im Schneesturm - die richtige Ausrüstung macht es möglichBild: SLF/Pielmeier

Wenn wir im Lawinenwarndienst Punktaufnahmen machen, wollen wir wissen, wie repräsentativ sind diese für den ganzen Hang? Wie können wir die Feldaufnahmen verbessern, damit unsere Einschätzungen zuverlässiger sind? Da gibt es noch einiges zu erforschen. Und wenn wir dann zum Beispiel mit neuen Instrumenten im Kältelabor herausfinden, dass die Umwandlung eines Schneekristalls anders verläuft, als wir das bisher alle gedacht haben, dann hat das natürlich auch etwas mit der Schneemechanik und den Brüchen in der Schneedecke zu tun.

Und das wollen Sie jetzt noch die nächsten zwanzig Jahre weiter erforschen?

Ich mache das ja erst seit zehn Jahren und es macht mir einfach sehr viel Freude. Das Arbeiten draußen im Gelände, in den Bergen, im Schnee zum Beispiel.

Es ist doch die ganze Zeit wahnsinnig kalt!

Blick auf das verschneite Davos (Foto: Davos Tourismus)
Davos ist bekannt für Wintersport, Weltwirtschaftsgipfel - und SchneeBild: Davos Tourismus

Es ist sehr kalt, ja, im Moment etwa minus zwanzig Grad. Wir haben aber auch eine wunderschöne Landschaft hier und im Sommer mache ich ja was anderes. Im Winter arbeite ich mit dem Schnee und im Sommer werte ich meine Daten aus, schreibe Berichte, gehe auf Konferenzen, treffe mich mit Kollegen aus der ganzen Welt. Das finde ich sehr spannend.

Können Sie die Farbe Weiß noch sehen?

Ja klar, hier oben ist aber der Himmel auch strahlend blau. Wir haben sehr viele Sonnentage, es ist nicht nur weiß, weiß, weiß. Das tut gut im Winter. Die Tage sind kurz, aber hell. Es ist schön, aber man muss die Kälte mögen.

Autorin: Marlis Schaum

Redaktion: Ulrike Wolpers