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Schock für die Litauer

1. März 2002

- Der berühmte Kinderdichter Kostas Kubilinskas war ein Agent der Sowjets

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Vilnius, 28.2.-6.3.2002, THE BALTIC TIMES, engl.

Die Nachricht, der berühmte Kinderdichter Kostas Kubilinskas werde vom Vilniuser Dokumentations- und Forschungszentrum bezichtigt, sowjetischer Agent gewesen zu sein und sich des Mordes schuldig gemacht zu haben, hat Litauen in einen Schock versetzt.

Das Zentrum legte einen Bericht über die Aktivitäten des Dichters im sowjetisch besetzten Litauen vor. Beantragt hatte den Bericht der Litauische Verband Politischer Gefangener und Verbannter, nachdem Bewohner des Ortes Gizai im Gebiet Vilkaviskis, in dem Kubilinskas geboren wurde, darum gebeten hatten, eine Straße nach ihm zu benennen. Ein Standbild von Kubilinskas gibt es in Gizai bereits.

Der Bericht bestätigt, dass Kubilinskas, der 1962 im Alter von 39 Jahren verstorben ist, 1948 für den sowjetischen Sicherheitsdienst MGB, später als KGB bekannt, angeworben wurde. Arvydas Anusauskas, ein Historiker am Zentrum für Genozid- und Widerstandsforschung, erklärte jedoch, der Grund dafür, dass sich Kubilinskas dem sowjetischen Sicherheitsdienst angeschlossen habe, hätte mit seinem Wunsch zu tun gehabt, veröffentlicht zu werden. "Damals wurden Kubilinskas' Gedichte nicht veröffentlicht, weil er im unabhängigen Litauen der dreißiger Jahre der bekannten katholischen Jugendorganisation Ateitininkai angehörte. Die Sowjets sahen seine Gedichte im Widerspruch zur herrschenden Ideologie. "Der MGB teilte Kubilinskas mit, er dürfe seine Gedichte nur unter bestimmten Bedingungen veröffentlichen. Er musste aber einen schrecklichen Preis dafür bezahlen."

Kubilinskas wurde vom MGB in die südlitauische Stadt Varena geschickt, wo er im Zeitraum 1948-1949 als Lehrer tätig war. Dort nahm er Kontakt zu den örtlichen Partisanen auf, die ihm vertrauten. Die litauischen antisowjetischen Partisanen führten einen Krieg gegen die Besetzung ihres Landes zwischen 1944 und 1953.

Zusammen mit einem anderen MGB-Agenten erhielt Kubilinskas die Order, sich in eine lokale Partisanengruppe einzuschleusen und deren Führer Benediktas Labenas zu ermorden. Am 7. März 1949 erschossen Kubilinskas und sein Komplize angeblich Labenas.

Kubilinskas kontaktierte daraufhin den sowjetischen Geheimdienst und Militäreinheiten und gab ihnen Hinweise auf Operationsgebiete der litauischen Partisanen, darunter auf die genauen Orte, an denen sich ihre geheimen Bunker befanden.

"Keine Dichtung ist das Leben eines Menschen wert", sagt die Generaldirektorin des Forschungszentrums Dalia Kuodyte. "Fünf Menschen wurden ermordet, Kubilinskas verriet dem MGB auch die Namen von zehn Personen, die die Partisanen mit Lebensmitteln, Medikamenten und geheimen Informationen versorgten. Sie wurden sehr schnell verhaftet."

Kubilinskas veröffentlichte in der Zeit darauf noch mehr als ein Dutzend verschiedene Gedichtbände, am bekanntesten waren aber seine folkloristischen Kindergedichte. Seine Gedichte sind an litauischen Schulen immer noch Pflichtlektüre. Seine Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Geheimdienst war bislang geheim geblieben.

Kuodyte sagte, sie stelle Kubilinskas' dichterisches Talent nicht in Frage. "Keiner hat vor, seine Bücher aus den Bibliotheken zu entfernen oder seinen Namen aus den Enzyklopädien zu streichen. Es kann aber nicht hingenommen werden, dass eine Straße nach einem Mörder benannt wird. "Kubilinskas' Geschichte ist das tragische Schicksal eines Menschen, der unter sowjetischer Besatzung leben musste. Wäre er noch am Leben, würde er mit Sicherheit vor Gericht gestellt werden."

Vertreter des Bildungsministeriums erklärten, Kubilinskas' Gedichte würden auf dem Unterrichtsplan an den Schulen bleiben. Man werde die Lehrer aber dazu ermutigen, Eigeninitiative zu zeigen und die Wahrheit über das Leben des Dichters zu erzählen.

Die Verwaltung von Vilkaviskis hat jetzt beschlossen, die Straße nicht nach dem Dichter zu benennen. "Ein Verräter bleibt ein Verräter. Er hat Schande über unsere gesamte Familie gebracht", sagte Kubilinskas' Bruder Albinas im Sender LNK TV. (...) (TS)