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"Schockierende Unfähigkeit" der Europäer

Gero Schließ, Washington24. März 2016

Die Brüsseler Anschläge haben nach Ansicht von US-Experten die katastrophalen Mängel der europäischen Sicherheitspolitik offenbart. Sie fordern radikale Veränderungen. Aus Washington berichtet Gero Schließ.

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Belgien: Ruach in der Halle des Brüsseler Flughafen Zaventum nach dem Bombenanschlag (Foto: Ralph Usbeck via AP)
Bild: picture-alliance/AP/Ralph Usbeck

Unter amerikanischen Geheimdienstexperten war es schon lange ein offenes Geheimnis. Seit den verheerenden Anschlägen von Brüssel wird darüber nun auch offen in den US-Medien diskutiert: Die Unfähigkeit der Europäer, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen.

"New York Times": "Belgien ein gescheiterter Staat"

Die jüngsten Terrorattacken in Belgien hätten Europas Sicherheit "ins Wanken gebracht" und die Furcht vor Fehlern der Geheimdienste weiter verstärkt, liest man in der "New York Times" (NYT). Angesichts eines grassierenden internationalen Terrorismus macht die Zeitung, wie viele andere Medien, eine dauerhafte Verwundbarkeit des alten Kontinents aus. Trotz fieberhafter Aktivitäten von Polizei und Geheimdiensten nach den Anschlägen von Paris sei es nicht gelungen, die Brüsseler Terrortat zu verhindern.

Der "überforderte Geheimdienst" Belgiens könne den "tief verwurzelten Terrornetzwerken" kaum noch Paroli bieten, so der Tenor. Belgien wird in dem NYT-Artikel gar als "der weltweit wohlhabendste gescheiterte Staat" gebrandmarkt. David Ignatius, einer der angesehensten amerikanischen Sicherheitsexperten, weitet in der "Washington Post" die ätzende Kritik auf alle europäischen Länder aus. Brüssel habe "auf schockierende Weise Europas disfunktionalen Umgang mit der eigenen Sicherheit" gezeigt, so seine Schlussfolgerung.

David Ignatius, Journalist "Washington Post" und Experte für Sicherheitspolitik
David Ignatius, Journalist der "Washington Post"Bild: DW/S. Czimmek

Das Weiße Haus spricht etwas zurückhaltender von "signifikanten Herausforderungen" und stellt heraus, dass angesichts der erhöhten Bedrohung "mehr denn je" eine verstärkte Kooperation zwischen den Europäern notwendig sei. Genau daran scheint es aus US-amerikanischer Sicht trotz vielfacher Ankündigungen immer noch zu hapern. "Die jüngsten Attacken haben klargemacht, dass es viele blinde Stellen zwischen den europäischen Sicherheitsdiensten gibt", konstatiert Carl Hvenmark Nilsson von der Brookings Institution im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Es gibt unter ihnen keinen umfassenden und tiefreichenden Austausch von Informationen", stellt er fest und kritisiert "Geheimdienst-Rivalitäten" sogar innerhalb der jeweiligen Staaten.

Vertrauen erschüttert

Das Vertrauen der Amerikaner in die europäischen Sicherheits- und Geheimdienste war nie sonderlich ausgeprägt, ausgenommen vielleicht diejenigen Frankreichs und Großbritanniens. Und auch die Deutschen seien "kompetent", erkennt Ignatius an. Aber sie spielten ihre Stärke wegen mangelnden politischen und öffentlichen Rückhalts nicht aus. Den anderen europäischen Ländern jedoch trauen die USA wenig bis gar nichts zu.

Die belgische Polizei sucht im Brüsseler Stadtteil Shaerbeek nach Terrorverdächtigen (Foto: dpa)
Die belgische Polizei sucht im Brüsseler Stadtteil Shaerbeek nach TerrorverdächtigenBild: picture-alliance/dpa/S.Lecocq

Nun ist die Sorge groß, dass Europas Stabilität durch die fortgesetzten Terrorattacken dauerhaft erschüttert wird. Europas Sicherheit sei in einem Ausmaß bedroht, wie es der Kontinent in der modernen Geschichte noch nie erlebt habe, schreibt Ignatius in der "Washington Post" und verweist auf die wachsende Zahl radikalisierter "foreign fighters", die aus dem Mittleren Osten zurückkehrten. "Die Europäer müssen ihr Sicherheitssystem neu erfinden", fordert er, sonst drohe der Kontinent in Angst und Chaos zu versinken.

US-Experte fordern radikale Reformen

Viele US-amerikanische Sicherheitsexperte sehen nur eine Lösung: Die Geheimdienste der einzelnen Länder müssen sich von Dünkel und Eifersüchteleien untereinander verabschieden. "Wir brauchen eine rigorose Arbeitsweise, wenn es um den Austausch von Geheimdiensterkenntnissen geht", fordert auch Nilsson im Gespräch mit der Deutschen Welle. Unbedingt erforderlich sei ein schneller "horizontaler" Informationsfluss. Zurzeit bewegten sich die Europäer auf einem weit geringeren Level, ähnlich wie CIA und FBI vor 9/11.

Die US-Medien geben allerdings nicht alleine den Europäern die Schuld für die gegenwärtige Bedrohungslage. Tieferer Grund sei das "Scheitern der US-geführten Koalition, die Dschihadisten in Schach zu halten", analysiert Ignatius. Auch er wünscht sich, dass die Geheimdienste enger kooperieren und fordert zu diesem Zweck, die USA sollten "die Führung dabei übernehmen, sie zusammenzubringen".

Weitere Anschläge "ziemlich wahrscheinlich"

Darüber hinaus wird vielfach die Forderung erhoben, die Europäer sollten zum Zwecke der Terrorbekämpfung wieder ihre nationalen Grenzen kontrollieren. Dem widerspricht Nilsson. Denn dies würde die europäische Idee beschädigen und "signalisieren, dass die Anschläge Erfolg gehabt haben" in ihrem Ziel, die Europäer in Angst und Schrecken zu versetzen.

Menschen klettern nach dem Anschlag in der Metro-Station Maelbeek aus einer U-Bahn (Foto: dpa)
Menschen klettern nach dem Anschlag in der Metro-Station Maelbeek aus einer U-BahnBild: picture-alliance/epa/Evan Lamos/Euractiv

Dennoch: Selbst wenn die Forderungen der Experten schnell umgesetzt würden, würde es sicherlich noch einige Zeit dauern, bis sich die Sicherheitslage in Europa nachhaltig verbessert. Deshalb hat Nilsson keine gute Nachrichten für die Europäer: Dass ihr Kontinent Ziel weiterer Terroranschläge wird, sei "ziemlich wahrscheinlich".