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Schrecken der Investoren

27. Oktober 2002

Brasiliens sozialistischer Präsidentschaftskandidat "Lula" hat gute Chancen, nach der Stichwahl am Sonntag (27.10.) das nächste Staatsoberhaupt des Landes zu werden. Investoren sehen dies mit Missmut.

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"Lula" geht selbstbewusst in die StichwahlBild: AP

Sollte Luiz Inacio da Silva, genannt "Lula", in der Stichwahl am 27. Oktober die absolute Mehrheit gewinnen, wäre er der erste linksgerichtete Präsident Brasiliens seit 40 Jahren. Teile der Finanzmärkte entziehen dem Land deshalb ihr Vertrauen und setzen so Brasiliens Wirtschaft unter Druck – zu Unrecht, meinen Südamerika-Experten im Gespräch mit DW-WORLD.

Radikale Änderungen in der Wirtschaftspolitik sind auch nach einem Wahlsieg "Lulas" nicht zu erwarten. Denn dessen Arbeiterpartei hat keine Mehrheit im Parlament. "Er ist darauf angewiesen, mit Zentrums- und konservativen Parteien eine Allianz zu schließen", sagt Sigrid Zirbel, Expertin für die Region Nord- und Lateinamerika beim Bundesverband der Deutschen Industrie. "Lula selbst hat bereits angekündigt, die Haushaltsdisziplin fortzusetzen sowie viele der angestoßen Reformen fortzuführen."

Auch Peter Rösler, stellvertretender Geschäftsführer des Ibero-Amerika Vereins (IAV) in Hamburg, erwartet keine Änderungen der marktwirtschaftlichen Grundrichtung, lediglich "Akzentverschiebungen zu Gunsten des sozialen Bereichs". Im IAV organisieren sich Unternehmen aus Europa und Lateinamerika, die wirtschaftliche Interessen auf dem jeweils anderen Kontinent verfolgen.

Staatsbankrott ist unwahrscheinlich

Die Angst vor dem wirtschaftlichen Ruin nach einem Sieg Lulas kann Rösler nicht nachvollziehen. "Die Panik der internationalen Finanzmarkt-Akteure ist völlig überzogen. Lula wurde regelrecht zum anti-marktwirtschaftlichen Schreckgespenst aufgebaut." Die Gefahr eines Staatsbankrotts wie in Argentinien hält er wegen der "ausgewogenen Wirtschaftsstruktur" sowie der "vorbildlich funktionierenden Zentralbank" für unwahrscheinlich. Außerdem hätten Direktinvestoren im Gegensatz zu kurzfristigen Anlegern weiter Vertrauen in das Land, und ihre Investitionen um fünf Prozent auf rund 8,2 Milliarden Euro erhöht.

Auch Zirbel betont die Unterschiede zwischen den beiden südamerikanischen Ländern. Ihrer Meinung nach handelt es sich bei der Sorge vor einem Bankrott um "Spekulation, die mit der realen wirtschaftlichen Situation Brasiliens wenig zu tun" hat.

Gute Beziehungen zu Deutschland

Gravierende Veränderungen in den Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien erwarten die Experten unter einem linksgerichteten Präsidenten nicht. "Einem strukturellem Bruch (ist) durch die enge Verzahnung und weitreichenden Beziehungen in Forschung und Entwicklung zwischen Deutschland und Brasilien vorgebeugt", sagt Claudio Zettel, Experte für internationale Bildung und Forschung. Dies gelte unabhängig vom Wahlausgang. Die deutschen Unternehmen, die in Brasilien tätig sind, erklärten laut Rösler, dass sie auch mit dem linksgerichteten Präsidenten Lula "gut leben" könnten.

Spannungen könnte es allerdings im Verhältnis zu den USA geben. Washington möchte Brasilien in der amerikanischen Freihandelszone "ALCA" dabei haben. Lula machte jedoch deutlich, dass er einen Beitritt als Verlust an Souveränität an die USA ansieht. Er tritt für eine Stärkung des Mercosur, des "Gemeinsamen Marktes des Südens" ein, in dem sich Argentinien, Uruguay, Paraguay, Chile und Bolivien zusammenschlossen. Dieser Wille zur Kooperation kann Investoren nur recht sein. (ah)