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Schreiben zwischen den Kulturen

Anja von Cysewski5. Dezember 2003

Flucht, Vertreibung oder Exil haben eine neue Art von Weltliteratur entstehen lassen. Viele renommierte Autoren leben fern der Heimat und reflektieren den Wechsel der Kulturen, zum Beispiel Gary Shteyngart.

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Erfolgsdebüt eines Emigranten

Nicht jeder Vorname passt in jedes Land. Gary Shteyngart hieß einmal Igid. 1979 emigrierte er im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern von Leningrad nach New York. Ein Kulturschock für den Jungen, dessen Lieblingsspielzeug ein Panzer der Roten Armee war und der Leonid Breschnew verehrte. Nun musste er sich in einem Land zurechtfinden, in dem alle Englisch sprachen - und Michael hießen, Steve oder Bob. Igid bekam einen echt amerikanischen Namen, den er heute ziemlich albern findet: Gary.

Mit dem neuen Namen begann die Assimilation des Gary Shteyngart. Doch der Weg des jungen russisch-jüdischen Immigranten in die amerikanische Gesellschaft war mühselig, erinnert sich der heute 31-jährige Schriftsteller. Seine Eltern schickten ihn auf eine jüdische Schule in der Erwartung, dass der Antisemitismus in den USA geringer sei als in Russland. Das traf auch zu. Aber dafür hatten die jüdischen Kindern in der Schule eine unglaubliche Abneigung gegen alles Russische.

Pendler zwischen den Welten

In Russland der Jude, in Amerika der Russe. Die Erfahrung des Fremdseins, des Nicht-dazu-Gehörens, hat Gary Shteyngart seit seiner frühesten Kindheit begleitet. Und sie hat ihn zum Schreiben gebracht. In seinem Erstlingswerk "Handbuch für einen russischen Debütanten", das im letzten Jahr in den USA erschien, hat Shteyngart seine eigenen Erfahrungen als Einwanderer zum Thema gemacht.

Mit sprühendem Witz und viel Tempo erzählt er die Geschichte von Vladimir Girshkin, dem einzigen Sohn ehrgeiziger russischer Einwanderer. Notorisch antriebsarm findet er sich im gelobten Land des Kapitalismus nicht zurecht, vergeblich sind seine Versuche sich zu assimilieren - Vladimir bleibt ein Pendler zwischen den Welten und Sprachen.

Dass ihm genau dieser innere Zwiespalt von Nutzen sein kann, merkt Vladimir erst, als er nach Europa zurückkehrt: In Prawa, einer fiktiven Stadt, die unschwer als das postsozialistische Prag zu erkennen ist, avanciert der einstige Versager zum Helden der amerikanischen Exilgemeinde. Gekonnt jongliert er zwischen der östlichen und der westlichen Welt, indem er mit Hilfe der Russenmafia reiche amerikanische Bohemiens ausnimmt. Wenn Gary Shteyngart den kollektiven Selbstfindungstrip junge Amerikaner in Prag beschreibt, dann geschieht das mit beißender Ironie. Er weiß, wovon er spricht, denn 1993 hat er selbst ein Jahr in Prag verbracht.

Assimilation und Ausbeutung

Gary Shteyngarts Protagonist Vladimir beutet die Träume dieser Amerikaner aus und macht sie zu Geld. Nicht Fleiß und Beharrlichkeit führen hier zum Erfolg, der amerikanische Traum erfüllt durch Verweigerung und Schwindel. Und so lässt sich das Buch auch als Parodie auf den klassischen amerikanischen Einwanderer-Roman lesen. Das ist so gewollt: Wie viele seiner aus dem Ausland stammenden jungen Schriftstellerfreunde, greift Gary Shteyngart die traditionellen Modelle der Assimilation an.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Gary Shteyngart mit seinem Erstlingswerk nun genau das gelungen ist, wovon Immigranten zu allen Zeiten geträumt haben: Sein "Handbuch für den russischen Debütanten" wurde bei seiner Veröffentlichung in den USA hoch gelobt und in verschiedene Sprachen übersetzt. Gary Shteyngart ist auf dem besten Weg, seinen festen Platz in der amerikanischen Literatur zu finden.