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Politik

Amoklauf: Prävention an Schulen reicht nicht

Sabrina Pabst
26. April 2017

Außenseiter, Einzelgänger, perspektivlos: So wird Robert Steinhäuser, der Amokläufer von Erfurt, beschrieben. Als Prävention fordert Schulpsychologe Klaus Seifried im DW-Interview intensive Beratungsangebote an Schulen.

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Bei einer Gedenkfeier vor dem Gutenberg-Gymnasium legen Schüler in Erfurt (Thüringen) weiße Rosen nieder. (Foto: picture-alliance/dpa/M. Schutt)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

DW: 15 Jahre liegt die Tat mit 16 Opfern nun zurück. Was wurde seitdem an Schulen unternommen, um solchen Taten vorzubeugen?

Seifried: Amoktaten sind Gott sei Dank nur sehr selten, Amokdrohungen dafür sehr viel häufiger. Das sind meist Trittbrettfahrer. Dennoch muss in jedem Fall mit der Schulleitung und der Polizei die Gefahrenlage abgeklärt werden. Viel wichtiger bei unserer Arbeit als Schulpsychologen ist der Umgang mit persönlichen Krisen, zum Beispiel Suizidandrohungen oder dem Suizid eines Schülers. Aber wir sind auch für alle Lernprobleme, Lese- und Rechtschreibschwächen, Rechenschwächen, Prüfungsängste zuständig. Verhaltensprobleme von Schülern haben in den letzten Jahren zugenommen. Die beste Prävention gegen Gewalt und Mobbing in der Schule ist ein gutes Klassenklima und eine gute persönliche Beziehung zwischen Schülern und Lehrern, aber auch unter den Schülern. Dabei unterstützen wir die Schulen in ihrer Entwicklung. Wir bieten Sprechstunden vor Ort für Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte an.

Wie kann der soziale Zusammenhalt in Klassen gestärkt werden, um Isolation oder auch Mobbing zu vermeiden?

Entscheidend ist, dass die Schülerinnen und Schüler im Sinne eines Frühwarnsystems reagieren, dass sie Mitschüler unterstützen, wenn es ihnen schlecht geht, dass sie stopp sagen, wenn ein Mitschüler geärgert wird. Schüler werden zu Konfliktlotsen oder Streitschlichtern ausgebildet und können so ihre Sozialkompetenz erweitern. Natürlich brauchen die Streitschlichter Unterstützung durch ihre Klassenlehrer, Vertrauenslehrer, Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen.

Worauf sollten Eltern bei ihren Kindern achten?

Ganz wichtig ist, dass Eltern sich für ihre Kinder Zeit nehmen, dass sie einen Rahmen für Gespräche schaffen, ein regelmäßiges gemeinsames Frühstück oder Abendessen. Wenn Jugendliche auf die Frage "Wie war es in der Schule?" nur "Ja" oder "Okay" antworten, sollten die Eltern trotzdem dranbleiben und versuchen, den Kontakt zu halten. Vertrauen zu den Kindern ist das Wichtigste.

Viele Eltern sind durch ihren Job oder durch andere persönliche Belastungen nur begrenzt in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern. Jede zweite Ehe wird in Deutschland geschieden. Das bedeutet für viele Kinder dramatische Konflikte. Dann ist es wichtig, dass auch außerhalb der Familie jemand zur Verfügung steht, um bei Sorgen oder Krisen die Schüler zu unterstützen. Da kann die Schule ein wichtiger Stabilisierungsfaktor sein. Deshalb sind niedrigschwellige Beratungsangebote in der Schule wichtig.

Ein Porträt des Schulpsychologen Klaus Seifried aus Berlin. (Foto: Berufsverband Deutscher Psychologen/Markus Waechter)
Klaus Seifried war selbst Lehrer und ist jetzt SchulpsychologeBild: Berufsverband Deutscher Psychologen/Markus Waechter

Wann brauchen Kinder und Jugendliche Unterstützung?

Rund 20 Prozent der Jungen und Mädchen entwickeln im Laufe ihrer Schulzeit Schwierigkeiten und Krisen, die oftmals psychologische Beratung erfordern. Das können Lernprobleme sein, Konzentrationsschwierigkeiten, Prüfungsängste, Mobbing, Gewaltvorfälle oder Pubertätskrisen und Konflikte in der Familie. Viele Kinder und Jugendliche kommen im Laufe ihres Lebens in Konflikte und krisenhafte Situationen, in der eine externe Beratung notwendig ist. In den USA oder den skandinavischen Ländern ist es selbstverständlich, dass Schulpsychologen,Sozialarbeiter und Sonderpädagogen in multiprofessionellen Teams an Schulen arbeiten.

Haben auch Lehrer psychologische Unterstützung nötig?

Lehrkräfte nutzen die Sprechstunden von Schulpsychologen ebenso häufig wie Schüler. Es kommen auch Lehrkräfte mit Schülern und bitten um Beratung. Ein Lehrer hat bis zu 1000 Interaktionen am Tag. Das reicht von der Ermahnung per Blick bis zu einem massiven Konflikt. Da baut sich über den Tag hinweg ein Stresspegel auf, der auch nur begrenzt bearbeitet wird. Umso wichtiger ist es, dass Lehrer sich beraten lassen, nicht nur in einer Sprechstunde von einem Schulpsychologen, sondern auch in Teamsitzungen und Teamsupervisionen. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist sehr anstrengend, weil diese die Lehrkräfte vor allem persönlich fordern, weil sie Halt suchen, um sich zu orientieren und um ihre Identität herauszubilden. Da brauchen Lehrkräfte regelmäßige, zeitnahe psychologische Unterstützung.

Wie viele Schüler teilen sich einen Schulpsychologen?

Der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) erhebt jährlich die Versorgungszahlen. Der Durchschnitt liegt im Moment bei 8700 Schülern pro Schulpsychologe. Allerdings ist die Versorgung in den einzelnen Bundesländern sehr verschieden. In Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Düsseldorf ist ein Schulpsychologe für 5000 Schüler zuständig. In Sachsen oder Niedersachsen ist das Verhältnis 1:16.000. Der internationale Standard liegt aber bei 1:1000 bis 1:2000. Eine große Schule mit 1000 Schülern braucht jeden Tag einen Schulpsychologen vor Ort.

Klaus Seifried hat zehn Jahre als Lehrer und mehr als 25 Jahre als Schulpsychologe gearbeitet und ist ausgebildeter Diplom-Psychologe und Psychotherapeut. Er ist außerdem stellvertretender Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologen.

Das Interview führte Sabrina Pabst.