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Schummel-Service per SMS

20. Dezember 2001

Gefaltete Zettel in der Hosentasche, Gravuren auf dem Bleistift, versteckte Bücher auf den Gängen. Wenn es ums Spicken geht, kennt die Fantasie deutscher Schüler keine Grenzen.

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Das Handy als SpickerBild: AP

Jetzt ist der Wettstreit um die beste Schummelidee in eine neue Runde gegangen - mit dem Spicker-Service per SMS. Ein Start-up-Unternehmen schickt seit kurzem seinen jungen Kunden die Lösungen kniffliger Aufgaben direkt ins Klassenzimmer. Neun Lehramts-Studenten nehmen die Anfragen der Schüler entgegen und beantworten sie innerhalb weniger Sekunden.

Mehr als 400 Jugendliche aus Köln, Düsseldorf und anderen Städten haben sich bei dem kostenlosen Service bereits angemeldet. Hinter der Schummel-Idee stecken die 30 Mitarbeiter der Berliner Yoc AG, die vor gut einem Jahr gegründet wurde. "Zur Zeit bieten wir den Dienst ausschließlich für die lernintensiven Sprachfächer Englisch, Latein und Französisch an", sagt Yoc-Pressesprecherin Anja Stoiser. Das Unternehmen will den Service allerdings auf andere Fächer ausdehnen.

Und so funktioniert's...

Das Spicken per Handy funktioniert ganz einfach: Eine Woche vor der Klassenarbeit schicken die Schüler eine SMS. Darin nennen sie unter dem Stichwort "Schummeln" die genaue Zeit und das Thema des Tests. Wenn es soweit ist, hält sich ein fachkundiger Lehramts-Student für sämtliche Anfragen bereit. Per SMS können beide Seiten dann Aufgaben und Antworten austauschen.

Eine Garantie auf eine "Eins" in der Klassenarbeit geben die Yoc-Mitarbeiter allerdings nicht. "Wir tun unser Bestes. Was die Schüler daraus machen, ist ihre Sache", stellt Anja Stoiser klar. Werde jemand beim Spicken erwischt, müsse er die Sache alleine ausbaden. "Wir sagen ohnehin immer, dass es besser ist, ordentlich zu lernen als zu schummeln."

Die Lehrer sind skeptisch

Bei den Lehrerverbänden sieht man der Spick-Offensive per SMS gelassen entgegen: "In vielen Schulen sind Handys im Unterricht verboten. Außerdem würde während einer Klassenarbeit nur sehr wenig Zeit bleiben, überhaupt eine Anfrage nach außen zu schicken. "Obendrein ist das Risiko, erwischt zu werden, außerordentlich groß", sagt Josef Kraus, Vorsitzender des deutschen Lehrerverbandes. Er setzt auf die Vernunft der Schüler.

Ähnlich sieht es Jürgen Schmitter, Chef des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Nach seien Worten würden Spickzettel heutzutage ohnehin kaum noch etwas bringen. "Die Zeiten einfacher Wissensabfragen sind vorbei. Inzwischen stellen viele Lehrer Aufgaben, in denen ein komplexes Problem gelöst werden muss. In den Schulen sind deshalb längst Wörterbücher oder Formelsammlungen in den Klassenarbeiten zugelassen", sagt Schmitterer.

Dennoch begeistert der Schummel-Service der Yoc AG viele Schüler, wie die hohe Zahl der Anfragen zeigt. Vorerst wollen die Mitarbeiter ihren Dienst noch bis Weihnachten anbieten. Gerade die Zeit vor der Jahreswende sei an vielen Schulen besonders stressig - wegen der zahlreichen Klassenarbeiten. "Da wollen wir den jungen Leuten unter die Arme greifen", sagt Anja Stoiser. Ein bisschen Eigennutz ist aber auch dabei. Denn die Yoc AG vermarktet die Telefon-Nummern der Schüler. Viele werden demnächst wohl Werbebotschaften auf ihrem Handy erhalten.