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Schwache Bilanz der Hartz-Reformen

Rolf Wenkel16. August 2003

Am 16. August 2002 hat die so genannte Hartz-Kommission ihre Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes vorgelegt. Ein Jahr danach sind zwar einige der Reformen umgesetzt. Die Bilanz ist jedoch ernüchternd.

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Die Schlangen vor den Arbeitsämtern sind länger geworden - trotz HartzBild: AP

Wochen- und monatelang hatten Politiker, Funktionäre und Wissenschaftler in der Öffentlichkeit darüber diskutiert, was der damalige Volkswagen-Personalvorstand Peter Hartz alles in sein Konzept hineinschreiben müsste, um den deutschen Arbeitsmarkt flexibler zu machen. Denn eines war klar: so ziemlich jede internationale Institution hatte Deutschland bescheinigt, es leide an verkrusteten, überregulierten und bürokratischen Mechanismen, die einer effizienten Vermittlung von Jobsuchenden im Wege stünden.

Bundeskanzler Gerhard Schröder, rechts, und Peter Hartz
Bundeskanzler Gerhard Schröder, rechts, und Peter Hartz, Vorsitzender der nach ihm benannten Hartz-Kommission, in Berlin.Bild: AP

Vor einem Jahr gingen dann Bundeskanzler Gerhard Schröder und der weißhaarige Krisenmanager aus dem Saarland vor die Presse, um das Hartz-Konzept vorzustellen (Foto). Der Kanzler sagte damals: "Die Tatsache, dass der Bericht einstimmig beschlossen worden ist, zeigt, dass es in unserer Gesellschaft geht, Gruppen unterschiedlicher inhaltlicher und politischer Auffassung zu einem zentralen Thema unseres Volkes zusammenzuführen."

Bequem für Hartz

Aber, wie so oft, klaffen zwischen dem einstimmigen Beschluss einer Kommission und der politischen Umsetzung erhebliche Lücken. Inzwischen sind die Hartz-Vorschläge in vier Pakete aufgeteilt - Hartz I bis IV - , und unterschiedliche Teile der Hartz-Pakete sind zu unterschiedlichen Terminen zu Gesetzen geworden und in Kraft getreten. Andere harren noch ihrer Verwirklichung. Das macht die Sache nicht nur unübersichtlich, sondern gibt dem ehemaligen Personalvorstand Hartz auch die Gelegenheit, sich bequem zurückzulehnen: Um die Arbeitslosenzahl zu halbieren, müsse das Gesamtpaket umgesetzt werden, hatte er bei der Präsentation seiner Vorschläge gesagt, sonst könne er für nichts garantieren.

Die beiden ersten Gesetze, intern Hartz I und Hartz II genannt, sind seit 1. Januar 2003 in Kraft. Darin geregelt sind unter anderem: Die Ich-AG, so genannte Personalservice-Agenturen (PSA) zur Ausweitung der Zeitarbeit und die Minijobs zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Dazu kommen Einschnitte: etwa die strengere Anrechnung von Einkommen und Vermögen von Arbeitslosenhilfe-Empfängern.

Reform gescheitert

Thomas Straubhaar
Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv, im Gespräch mit DW-TV

Die Bilanz fällt allerdings ernüchternd aus. Thomas Straubhaar (Foto), Präsident des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung in Hamburg, hält die Reform insgesamt schon für gescheitert. Und der Nürnberger Artbeitsmarktforscher Hermann Scherl hält die Hartz-Reform für Scharlatanerie. Statt - wie versprochen - auf zwei Millionen weniger Arbeitsloser beziffert er den Entlastungseffekt des Arbeitsmarktes auf bestenfalls 400.000. Für völlig überbewertet hält er die so genannten Personalservice-Agenturen (PSA), die Arbeitslose als Zeitarbeiter an Firmen vermitteln sollen. Die Beschäftigungseffekte der PSA seien gleich Null. Bis Ende Juli 2003 wurden 747 Agenturen gegründet, die 35.000 Beschäftigte einstellen sollten. Bislang sind aber gerade einmal 6500 Arbeitslose in diese PSA eingetreten, und nicht einmal 200 konnten in reguläre Arbeitsverhältnisse vermittelt werden.

Minijobs

Zwiespältig ist das Fazit bei den Minijobs. Bis zu einer Lohngrenze von 400 Euro zahlen Arbeitnehmer weder Steuern noch Abgaben. Für Arbeitgeber wurde eine Pauschale von 25 Prozent eingeführt, bei haushaltsnahen Dienstleistungen von zwölf Prozent. Nach Einschätzung der Bundesknappschaft in Essen, die den bürokratischen Aufwand der Verteilung der Pauschalabgaben übernimmt, sind seit Einführung dieser Regelung zum 1. April 2003 rund 930.000 zusätzliche Jobs im Niedriglohnsektor entstanden. Die Erwartungen an dieses Konzept scheinen sich also zu erfüllen. Andere befürchten dagegen, dass mit den Minijobs die Zahl der regulären Arbeitsplätze kleiner wird, weil die Arbeitgeber sie zunehmend in mehrere Minijobs aufteilen.

Am ehesten nach einem Erfolg sehen die so genannten Ich-AGs aus. Bis zu einem Jahreseinkommen von 25.000 Euro können Arbeitslose staatliche Zuschüsse erhalten, wenn sie Kleinstunternehmen gründen. Damit soll erreicht werden, dass Schwarzarbeiter in den legalen Arbeitsmarkt zurückkehren. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit (BA) wurden bis Ende Juli 2003 genau 42.266 Zuschüsse gezahlt. Experten fürchten allerdings Mitnahmeeffekte und eine Pleitewelle, wenn die Existenzgründerdarlehen aufgebraucht sind.

Versagen vor der Bürokratie

Am Mittwoch (13. August 2003) wollte sich das Bundeskabinett mit den Gesetzespaketen Hartz III und Hartz IV befassen. Dazu zählt unter anderem die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II. Arbeitsmartforscher Scherl hält die geplante Ausdehnung der Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit auf arbeitslose Sozialhilfeempfänger für fragwürdig - die BA werde dadurch zu einem Mega-Sozialamt aufgebläht. Und noch etwas erregt die Gemüter: Bislang kümmert sich ein Vermittler um 350 Arbeitslose - zur schnelleren Vermittlung soll dieses Verhältnis auf 1 zu 75 reduziert werden. Rein rechnerisch wären dafür in den Arbeitsämtern 11.800 zusätzliche Stellen nötig - was Unions-Fraktionsvize Friedrich März veranlasst, vom Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zu fordern, diesen bürokratischen Wahnsinn zu stoppen.

Apropos Bürokratie - was sagte noch Hartz bei der Vorstellung seines Konzepts? "Eine unserer Antworten ist, dass wir die meterlangen Vorschriften reduzieren. Wir haben spasseshalber mal gesagt, aus drei Meter sollten wir einen Meter machen." Bleibt zu hoffen, dass aus drei Metern nicht plötzlich neun werden.