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Schweben und Schwingen

Gerald Labitzke17. Oktober 2002

In der Erinnerung der meisten Menschen ist er in erster Linie der "Turnvater". Doch seine Körperertüchtigung diente auch der national-patriotischen Erziehung und sollte die Jugend kriegstüchtig machen.

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Vor 150 Jahren starb Friedrich Ludwig JahnBild: DHM

Nach langen "Wanderungen und Irrfahrten", wie Friedrich Ludwig Jahn später selbst schrieb, fand der gescheiterte Theologiestudent seine Passion. Er kehrte an seine ehemalige Schule zurück und ergriff den Beruf des Hilfslehrers. Neben dem Unterricht begann er, seine Schüler in "Leibesübungen" zu unterrichten.

Vom Hilfslehrer zum Turnvater

An freien Nachmittagen zog er mit seinen Gymnasiasten aufs freie Feld, zeigte ihnen gymnastische Übungen und ersann gemeinschaftliche Geländespiele. 1811 gründete er in der Berliner Hasenheide einen eigenen "Turnplatz", der zur Geburtsstätte seiner Turnbewegung wurde. Innerhalb eines Jahres wurde der Hilfslehrer mit dem früh ergrauten Patriarchenbart zum Stadtgespräch.

Schon bald tauften Bewunderer wie Spötter ihn auf den Namen "Turnvater". Die Idee von systematischen Leibesübungen war zwar nicht neu. Doch erst Jahn prägte den Begriff "Turnen" und verlieh ihm mit einer Kombination von Bewegungs-, Kraft- und Geschicklichkeitsübungen System.

Turnen als Wehrertüchtigung

Doch dem Vater der "Leibesertüchtigung" ging es nicht allein um das, was man später Fitness nannte. Als Zeitzeuge der Niederlage Preußens gegen das französische Heer 1806 wollte er seinen Teil dazu beitragen, das Vaterland von der französischen Herrschaft zu befreien. Die ideologische Idee vom "Turnen" im Dienst des "deutschen Volksthums" war geboren. Das Ziel: Die "deutsche Jugend" sollte "durch Turnen patriotisch" erzogen und letztlich kriegstüchtig gemacht werden.

Jahn erkannte offenbar sehr früh, in welchem Maße sich das Turnen für eine ideologische Erziehung instrumentalisieren ließ. Eine Erkenntnis, von der über ein Jahrhundert später die Nationalsozialisten dankbar profitierten. Ob in der "HJ" (Hitler Jugend), beim "BDM" (Bund Deutscher Mädel) oder sonstwo: Sport war Trumpf, besonders als Massenerlebnis.

"Demagogische Beeinflussung"

Des Turnvaters Deutschtümelei ging so weit, dass er nicht-deutsche und vor allem französische Wortprägungen aus dem Sport verbannte. Fortan hieß es nicht mehr "balancieren" und "voltigieren", sondern "schweben" und "schwingen". Bei seinen Schülern fiel Jahns patriotisch-nationaler auf fruchtbaren Boden: Schon bald wurde in Jena die "Urburschenschaft" gegründet, die sich auf Jahn als geistigen Vater berief. Aus dem Turnen wurde bald ein "Burschenschaftsturnen", weil sich viele der Burschenschaftler zu den Hasenheide-Turnern der ersten Stunde zählten.

Als sich Jahn 1815 mit der Idee eines "einheitlichen deutschen Nationalstaates" an die Spitze der Jenaer Burschenschaften stellte, wurden nicht nur die Burschenschaften, sondern auch das Turnen verboten. Jahn wurde wegen des Vorwurfes "der demagogischen Beeinflußung der Jugend" verhaftet und kam erst 1825 wieder frei.

Ein umstrittener Deutscher

Schon zu seinen Lebzeiten schieden sich an Jahn die Geister. Und während die einen ihn bis heute wegen seiner offen ausgelebten national-patriotischen Gesinnung für gefährlich halten, verehren ihn die anderen als "ihren Turnvater Jahn". Das nationalistische Lager - damals wie heute - sieht ihn gar als "großen Vorkämpfer" des deutschen Nationalgedankens.

Fest steht, dass Jahn die Idealvorstellung vom "rassisch reinen Staat" propagierte. Fest steht auch, dass sein Fremdenhass Antisemitismus einschloss. "Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judentum", war von dem "Sportsvater" zu hören. Deshalb bedienten sich auch die Nazis nur zu gerne seines Vokabulars.