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Schulen nach dem Amoklauf

Sabine Damaschke/Ra12. März 2009

Schock über den Amoklauf von Winnenden: Wie reagieren Schüler und Lehrer in Deutschland? Wir haben eine Bonner Gesamtschule besucht.

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Gedenken an die OpferBild: AP

Als sich Direktor Jürgen Nimptsch an diesem Morgen über die Sprechanlage in den Klassenzimmern meldet, ist es sofort ruhig. Zu schweigen fällt den Schülern einen Tag nach dem Amoklauf an der Albertville-Realschule nicht schwer. Betroffen hören sie zu, als der Direktor zu einer Schweigeminute für die 15 getöteten Menschen aufruft und seine rund 1.400 Schüler auffordert: “Dieser Tag mahnt uns auch, darüber nachzudenken, ob wir unseren Mitmenschen immer die notwendige Aufmerksamkeit entgegenbringen.“

Nach der Schweigeminute regt Lehrerin Sabine Otto in ihrer 7. Klasse ein "gemeinsames Nachdenken" über den Umgang miteinander an. Schnell kommen die 12-jährigen Schüler dabei auf Mobbing, Schulstress und Gewalt zu sprechen. "Die meisten Amokläufer greifen zu Gewalt, weil sie das bei Ballerspielen gelernt haben", ist Enrico überzeugt. "Leute, die oft gemobbt werden, finden im Spielen Halt", glaubt Kilian. Für die Schüler ist klar: Der Amoklauf hat auch mit gewaltverherrlichenden Computerspielen, mit Einsamkeit und Isolation zu tun. Tatsächlich soll sich Tim K., wie auch die Amokläufer an den Schulen in Erfurt und Emsdetten, mit Gewaltspielen beschäftigt haben.

Niemand soll auf der Strecke bleiben

Killen am Computer - Ein harmloser Kinderspaß Conter-Strike
Killen am Computer - Kein harmloser KinderspaßBild: picture-alliance / dpa

In der Diskussion zeigt sich, dass die 12-jährigen Schüler wissen, wovon sie reden. "Es ist keine Seltenheit, dass Kinder in dem Alter schon Spiele ab 18 Jahren spielen, die gewaltverherrlichend sind", beobachtet Lehrerin Sabine Otto. Im naturwissenschaftlichen Unterricht habe sie deshalb mit ihrer Klasse über die physischen und psychischen Auswirkungen dieser Computerspiele auf Geist und Körper gesprochen. Wie sie überhaupt viel über Aggressionen, Stress, Gewalt und Mobbing mit den Kindern redet.

Jede Woche, so erklärt die 39-jährige Pädagogin, sei an ihrer Schule eine Stunde reserviert, in der das soziale Miteinander der Klasse zum Thema gemacht werde. "Bei der Sprache fängt es an und hört bei Intrigen und Gewalt auf", erklärt Sabine Otto. Rassistische Sprüche, das Auslachen und Ausgrenzen eines Schülers seien ebenso verpönt wie Prügeleien. "Bei uns wird viel dafür getan, dass niemand auf der Strecke bleibt", sagt Sabine Otto. "Weder als Mensche noch als Schüler." Tatsächlich machen an der Gesamtschule Bonn-Beuel 80 Prozent aller Schüler mindestens einen mittleren Abschluss, so gut wie niemand bleibt sitzen. Über die Hälfte der Zehntklässler können in die gymnasiale Oberstufe wechseln. Für diese vorbildliche Förderung ist die Schule mehrfach ausgezeichnet worden. Ebenso wie für ihr gutes Schulklima.

Daher können sich die meisten Kinder und Jugendliche überhaupt nicht vorstellen, dass auch an ihrer Schule ein Amoklauf möglich wäre. "Bei uns wird die Sozialcourage sehr gefördert", sagt der 17-jährige Max Sigmund. "Es gibt hier eine Kultur des Hinschauens." Wer Probleme mit anderen Schülern oder Lehrern habe, könne sich dem Klassenlehrer, den Sozialpädagogen oder der Schulpsychologin anvertrauen. "Wenn mir ein Mitschüler auffällt, der sich total zurückzieht und ganz viel Wut mit sich herumträgt, dann spreche ich darüber mit einem Lehrer," meint Max.

Gutes Schulklima ist bester Schutz vor Amoklauf

Integrierte Gesamtschule Bonn-Beuel
Das soziale Miteinander wird an der Integrierten Gesamtschule Bonn-Beuel gefördertBild: Integrierte Gesamtschule Bonn-Beuel

Genau diese Offenheit und Fürsorge ist nach Ansicht der 17-jährigen Schülersprecherin Julia Böing-Weißschnur der beste Schutz vor einem Amoklauf. Von der Idee, deutsche Schulen mit Wachpersonal und Überwachungskameras vor Übergriffen zu bewahren, hält die Schülersprecherin gar nichts. "Das würde nur die offene Atmosphäre an unserer Schule zerstören." Viel wichtiger sei dagegen, dass Lehrer und Schüler sich Zeit für Gespräche nehmen, aufeinander achten und sich als Menschen wahrnehmen.

Nach Ansicht von Schulpsychologin Andrea Kaupert ist ein Amoklauf immer Ausdruck einer "absoluten Hoffungslosigkeit". "Die Schüler brauchen heute mehr denn je unsere Unterstützung, damit sie einen guten Weg gehen", sagt die 49-jährige Psychologin. Viel zu oft werde an deutschen Schulen nur auf Leistung geachtet. Die "Würde des Menschen", sein Bedürfnis nach Anerkennung und Ermutigung komme dabei zu kurz. "Der Amoklauf kann uns nur lehren, dem soziale Klima an den Schulen wieder einen neuen und wichtigen Platz einzuräumen."