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Schwer vergängliches Erbe

Ingo Mannteufel5. März 2003

Vor einem halben Jahrhundert starb Stalin. Er sei für den Terror verantwortlich gewesen und noch heute sei sein politisches Erbe zu spüren, meint der Historiker Stefan Creuzberger im DW-WORLD-Interview.

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Iossif Wissarionowitsch Dschugaschwili, genannt StalinBild: AP

Als Iossif Stalin am 5. März 1953 starb, war fast nichts mehr wie vor seiner 25-jährigen Herrschaft. Das Agrarland Russland hatte sich durch forcierte Industrialisierung und gewaltsame Kollektivierung der Landwirtschaft in den (Schwer-)Industriestaat Sowjetunion verwandelt. Durch Massenterror war die Gesellschaft entlang ideologischer Kriterien gleichgeschaltet. Und die sowjetischen Eroberungen im Zweiten Weltkrieg und die Entwicklung der Atombombe hatten die kommunistische Sowjetunion zur zweiten Weltmacht gemacht.

Gelebtes Erbe

Auch wenn Stalin vor 50 Jahren starb und vor mehr als einem Jahrzehnt der durch ihn geschaffene Staat Sowjetunion zerfiel, ist nach Ansicht des Potsdamer Historikers Stefan Creuzberger das politische Erbe Stalins in Teilen heute noch zu spüren. So habe Russland durch den Zerfall der Sowjetunion seinen Status als Supermacht verloren. Dennoch versuche die politische Führung in Moskau, durch Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft Russlands Rolle als führende Großmacht in der Welt aufrecht zu erhalten. "Es ist nicht nur die Politik des heutigen Präsidenten; es ist ein Streben der politischen Eliten in Russland, die in den Jahren und Jahrzehnten der Super- und Weltmacht aufgewachsen sind, sozusagen dieses stalinistische Erbe unmittelbar erlebt und gelebt haben, und die versuchen, dieses Erbe zurückzuerlangen", erklärte der Russlandexperte Creuzberger im Interview mit DW-WORLD.

Doch nicht nur im außenpolitischen Denken sei Stalins Vermächtnis bis heute präsent. Für ein weiteres Erbe des sowjetischen Diktators hält Creuzberger die nur in rudimentären Zügen vorhandene Zivilgesellschaft im heutigen Russland. Die bolschewistische Revolution im Jahre 1917 und dann vor allem der stalinistische Terror in den 1930er-Jahren habe traditionelle Gesellschaftsstrukturen nachhaltig liquidiert.

In der von Stalin geschaffenen Sowjetgesellschaft hätten sich Mentalitäten entwickelt, die auch im Russland von heute zu finden seien: Lethargie, mangelnde Initiativbereitschaft und das Abwälzen von Kompetenzen an übergeordnete Stellen.

Creuzberger geht in der Bewertung Stalins sogar noch weiter: Das stalinistische Erbe sei letztlich auch dafür verantwortlich gewesen, dass dieses sowjetische Experiment in den Jahren 1989-1991 gescheitert ist.

Stalin - der Täter

Die historische Forschung zu Stalin litt jahrzehntelang unter einem Mangel an Quellen. In den 1990-er Jahren hat sich dies nach Sicht von Creuzberger stark verbessert, auch wenn noch nicht alle Materialien für die Forschung freigegeben worden seien. Die Rolle Stalins für den Massenterror hält der Potsdamer Historiker, der an einer neuen Stalin-Biografie schreibt, aber nun für geklärt.

Die so genannten Revisionisten hatten aus Opposition zum Totalitarismus-Modell in den 1980er-Jahren in Forschungsarbeiten versucht, Stalin als einen eher schwachen Diktator darzustellen. Terror und Stalinismus waren demnach Ausdruck einer Bewegung an der sowjetischen Basis gewesen. Für Creuzberger ist diese Diskussion beendet.

Auf Grund des inzwischen zugänglich gemachten Archivmaterials seien die Positionen der Revisionisten bei weitem nicht mehr aufrecht zu halten: "Im Wesentlichen wird es auf die Person Stalins hinauslaufen." Stalin habe in einem ganz entscheidenden Maße Einfluss genommen - sei es, dass er die Zahlen für die zu Exekutierenden festgelegt habe oder dass seine Unterschrift unter den entscheidenden Befehlen stehe. Nach Ansicht von Creuzberger war man daher letztendlich auch in der Sowjetunion froh, als Stalin am 5. März 1953 tot war.