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Schwere Regierungskrise in Polen

11. Juni 2015

Wenige Monate vor den Parlamentswahlen in Polen scheint die Regierung den Boden unter den Füßen zu verlieren. Nach dem Rücktritt von vier hochrangigen Politikern fordert die Opposition vorgezogene Neuwahlen.

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Polens Ministerpräsidentin Kopacz bei einem EU-Gipfel in Polen (Foto: EPA/OLIVIER HOSLET)
Bild: picture-alliance/epa/O. Hoslet

Es ist die schwerste Regierungskrise seit dem Amtsantritt von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz (Artikelbild) und ihrer liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) im vergangenen September. Drei Minister sind zurückgetreten. Dazu der Parlamentspräsident. Bei den Wahlen im Herbst droht der PO Umfragen zufolge der Verlust ihrer Mehrheit im Parlament.

Ihren Ursprung hat die Krise in einer nicht enden wollenden Affäre um belauschte Politikergespräche, in der die drei Minister und Parlamentspräsident Radoslaw Sikorski unfreiwillig die Hauptrollen spielten. Im Juni 2014 hatte das polnische Magazin "Wprost" erstmals Gespräche von Politikern publik gemacht, die illegal abgehört worden waren.

Polens Parlamentspräsident Sikorski verkündet bei einer Pressekonferenz in Warschau seinen Rücktritt (Foto: EPA/PAWEL SUPERNAK)
Parlamentspräsident Sikorski verkündete seinen RücktrittBild: picture-alliance/dpa/P. Supernak

Die staunende Öffentlichkeit erfuhr, wie sich die politische Elite des Landes bei privaten Gesprächen mit Parteifreunden und Geschäftsleuten verhielt - vulgäre Zoten, Machogehabe und Äußerungen unter der Gürtellinie inklusive - und Geheimabsprachen traf. Der damalige Außenminister Sikorski wurde dabei abgehört, wie er über die USA und den britischen Premierminister David Cameron lästerte. Er bezeichnete in einem dieser Gespräche das Verhältnis zu den USA als "nichts wert". Der zu dieser Zeit amtierende Regierungschef Donald Tusk lehnte eine Entlassung der betroffenen Politiker allerdings ab.

Aktenleck zur Unzeit

Die Lage heute sei "eine völlig andere als vor einem Jahr", hatte Ministerpräsidentin Kopacz bei der Pressekonferenz zum überraschenden Rücktritt der Politiker am Mittwoch erklärt. Völlig anders, da kurz zuvor der Geschäftsmann Zbigniew Stonoga mehr als 250 Aufnahmen von den Ermittlungsakten zu der Affäre auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hatte.

Das Aktenleck kam für Kopacz und ihre Bürgerplattform zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Im Mai triumphierte die nationalkonservative Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bei den Präsidentenwahlen, ihr Kandidat Andrzej Duda wird im August vereidigt. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass die PiS auch bei den Parlamentswahlen im Herbst die stärkste Partei im neuen Parlament stellen könnte.

Kopacz will mit der anstehenden Kabinettsumbildung nun einen Schlussstrich unter die Abhöraffäre ziehen und sich auf die Arbeit der nächsten Monate konzentrieren. "Ich muss heute Mitarbeiter haben, die unbelastet sind, die man nicht unaufhörlich nur nach den Aufnahmen und Gesprächen fragt, sondern die hart arbeiten", sagte sie.

Opposition beantragt Selbstauflösung des Parlaments

Nach Ansicht der Oppositionspartei SLD sollte die liberalkonservative Regierung überhaupt nicht weiterarbeiten. Sie hat einen Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments eingereicht, um den Weg zu Neuwahlen freizumachen. Die Situation der Regierung sei de facto eine "Destabilisierung des Staates", begründete eine SLD-Parlamentarierin den Antrag. Wann der Antrag im Sejm genannten polnischen Parlament zur Abstimmung kommt, ist unklar.

Ministerpräsidentin Kopacz reagierte zunächst gelassen: "Wenn jemand sagt, dass man heute den Sejm auflösen will, muss er erst einmal die Realitäten und Regeln kennen", sagte sie in Brüssel. "Dafür sind 307 Stimmen nötig." Die SDL hat 35 der 460 Parlamentsmandate, die Regierungskoalition kommt zusammen auf 239 Abgeordnete.

sp/stu (dpa, afp)