1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schwierige Vergangenheitsbewältigung in Rumänien

29. Juni 2006

Die Ermordung rumänischer Juden im Zweiten Weltkrieg wurde in Rumänien lange tabuisiert. 65 Jahre nach dem Pogrom von Jasch beginnt gerade erst eine Debatte über die Vergangenheitsbewältigung.

https://p.dw.com/p/8hNM
Dem Massaker an der jüdischen Bevölkerung von Iasi fielen mindestens 12.000 Menschen zum Opfer.Bild: DHM

Als Teil des Unternehmens "Barbarossa" marschierten im Juni des Jahres 1941 deutsche und rumänische Verbände in die Stadt Iasi im Nordosten Rumäniens ein. Was folgte, ging in die Geschichte ein als das Pogrom von Iasi. Damals gerieten zunächst nur wenige der etwa 50.000 Juden, die rund die Hälfte der Bevölkerung der alten Universitätsstadt ausmachten, in Panik. Denn kurz zuvor hatte der rumänische Diktator Ion Antonescu die mitregierende antisemitische "Eiserne Garde" in die Schranken gewiesen: Truppen des faschistischen Militärmachthabers hatten im Januar einen Staatstreich dieser Garde niedergeschlagen. Während dieser Revolte waren viele Juden von Gardisten in der Hauptstadt Bukarest brutal gefoltert, verschleppt und misshandelt worden. Hunderte Frauen, Männer und Kinder waren umgebracht worden. Nach der Wiederherstellung der Ordnung durch die Regierung des Generals Antonescu atmeten viele der rund 800.000 rumänischen Juden zunächst auf.

Das Pogrom von Iasi

Doch nur wenige Monate später, im Frühsommer, schlug die Staatsmacht zu: Es wurden Gerüchte in Umlauf gebracht, "jüdisch-kommunistische Verschwörer" signalisierten der russischen Luftwaffe Angriffsziele. Überall in den Straßen tauchten antisemitische Plakate auf, auf denen die Juden für den Ausbruch des Krieges verantwortlich gemacht wurden.

Am 28. Juni 1941 liefen gemischte deutsch-rumänische Patrouillen durch die Stadt. Zusammen mit Polizisten und vielen Stadtbewohnern drangen die Soldaten plündernd und brandschatzend in jüdische Wohnungen ein. Tausende Juden wurden an Ort und Stelle erschossen.

Am folgenden Tag, dem so genannten "Schwarzen Sonntag", ging das Morden ungebremst weiter. Auf dem Hof des Hauptquartiers der rumänischen Polizei wurden tausende Juden niedergeknüppelt oder erschossen. Dem Massaker an der jüdischen Bevölkerung von Iasi fielen mindestens 12.000 Menschen zum Opfer.

Holocaust als Tabu-Thema

Nach der kommunistischen Machtergreifung 1944 wurde das Pogrom jedoch genau so tabuisiert wie die Verschleppung und der Massenmord an den Juden aus Bessarabien und der Bukovina, die mehrheitlich in den Todeslagern Transnistriens umkamen.

Auch nach dem Fall des Kommunismus leugnete das linkspopulistische Regime von Ion Iliescu, das auf die Unterstützung der Nationalisten und Rechtsradikalen angewiesen war, jede rumänische Mitverantwortung für den Völkermord an den Juden. Noch 2002 löste Präsident Iliescu einen internationalen Aufschrei aus, als er in einem Interview mit der israelischen Zeitung Haaretz den rumänischen Holocaust relativierte.

Schweigen der Kommunisten

Wie problematisch die Aufarbeitung dieses geschichtlichen Kapitels in Rumänien ist, hat der rumänische Schriftsteller, Ethnologe und Anthropologe Andrei Oisteanu in seinem kürzlich erschienen Buch "Das Bild des Juden in der rumänischen Kultur" beschrieben. Andrei Oisteanu erklärt: "Das Thema war tabu. Genauso grausam, wie in den 20-er, 30-er und 40-er Jahren über Juden Lügen erzählt wurden, wurde unter dem kommunistischen Regime zum Thema Judentum geschwiegen."

Die von der überwiegenden Mehrheit der Rumänen gewollte Annährung an den Westen brachte schließlich die Wende: Präsident Iliescu berief 2004 eine internationale Historiker-Kommission unter der Leitung des im nord-rumänischen Sighet geborenen Nobelpreisträgers Elie Wiesel ein. Im Oktober 2004 präsentierte die Kommission ihren Abschlussbericht, der unter anderem feststellte, "dass es einen rumänischen Holocaust gegeben hat".

Druck aus dem Westen

Doch ob dieses Bekenntnis zur Mitschuld und Verantwortung der rumänischen Behörden für den Mord an rund einer Viertel Million Juden in eine breite Debatte zur Vergangenheitsbewältigung münden wird, bleibt abzuwarten. Andrei Oisteanu ist skeptisch: "Der Druck kam nicht so sehr von oben nach unten, sondern aus dem Westen. Erst unter diesem Druck der westlichen Regierungen haben die rumänischen Behörden eine umfassende moralische Initiative gestartet - mit letztendlich juristischen Folgen, die zur Anerkennung des 'rumänischen Kapitels' des Holocaust führte, der bisher massiv verneint oder ignoriert wurde."

Auf Empfehlung der Internationalen Kommission zur Aufarbeitung des Holocaust in Rumänien hat die rumänische Regierung im vergangenen Jahr ein "Institut Elie Wiesel" ins Leben gerufen, das die Arbeit der Kommission fortsetzen soll. Der 9. Oktober wurde zum nationalen Holocaust-Gedenktag ausgerufen. Es ist der Tag, an dem die Juden-Deportationen in Rumänien begannen.

Peter Janku
DW-RADIO/Rumänisch, 28.6.2006, Fokus Ost-Südost