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Schwieriger Start

Rainer Sollich, zur Zeit Genf22. Mai 2003

Die Weltgesundheitsbehörde (WHO) hat einen neuen Chef: Jong Wook Lee will die Gesundheitsbedingungen in den Entwicklungsländern verbessern. Doch gleich nach der Wahl zeigte sich, welch schweres Amt er inne hat.

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Löst Gro Harlem Brundtland als WHO-Chef ab: Jong Wook LeeBild: AP

Seinen Einstand vor der Weltpresse hatte sich Jong Wook Lee wohl anders vorgestellt. Zuerst streikte die Mikrofonanlage. Dann wurde er derart von Reportern umringt, dass er sich kaum noch auf die vielen Fragen konzentrieren konnte. Und insbesondere Journalisten aus Taiwan bedrängten ihn vehement. Sie fragten, ob er sich angesichts der SARS-Krise nicht deutlicher für einen Beobachterstatus des Landes bei der Weltgesundheitsorganisation einsetzen müsse - ein Ansinnen, das bislang am Einspruch Chinas gescheitert ist. Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und will - SARS hin oder her - jeden Anschein von internationaler Anerkennung der Inselrepublik verhindern.

Der 58-jährige Arzt aus Südkorea hat sich jedoch in 20 Dienstjahren bei der WHO - anfangs als Helfer für Leprakranke in Mikronesien, zuletzt als Direktor für Tuberkulose-Bekämpfung - bisher kaum mit solchen politisch heiklen Fragen beschäftigten müssen. Das merkte man ihm an - und das gab er, obwohl sichtlich nervös, vor den internationalen Reportern auch ganz offen zu. "Ich weiß es nicht", antwortete er schlicht auf die Frage nach einem möglichen Beobachterstatus Taiwans bei der WHO. Und lächelte verlegen.

Kampf gegen SARS

Dass er aber sehr wohl die weltweiten gesundheitspolitischen Herausforderungen für die nächsten Jahrzehnte kennt - das hatte der neue WHO-Generaldirektor bereits kurz zuvor, in einer Grundsatzrede unmittelbar nach seiner Wahl durch die Generalversammlung unter Beweis gestellt. Dort kündigte er neben weiteren Anstrengungen im Kampf gegen SARS auch ein verstärktes Vorgehen gegen andere, viel gefährlichere Krankheiten an. "HIV/AIDS wirft die Zunahme der Lebenserwartung in einigen Ländern um Dekaden zurück", sagte er und fügte hinzu: "In den nächsten zehn Jahren könnten in den am härtesten betroffenen Gebieten 25 Prozent der Erwachsenen durch AIDS getötet werden. Zwei Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Tuberkulose. Und täglich gibt es 3.000 Tote durch Malaria, überwiegend unter den Kindern in Afrika."

Jong Wook Lee, der erste Südkoreaner an der Spitze einer UN-Behörde, will sich insbesondere für bessere Gesundheitsbedingungen in den Entwicklungsländern einsetzen. Hierfür, so seine Überzeugung, müsse die WHO künftig mehr als bisher vor Ort arbeiten und auch ihre weltweiten Aktivitäten noch besser vernetzen. Und nicht zuletzt müssten auch die reicheren Länder deutlich mehr Geld zur Verfügung stellen. "Die durchschnittliche Lebenserwartung in einigen Ländern mit hohem Einkommensstandard erreicht heute 80 Jahre. Aber in einigen Teilen Afrikas beziehungsweise der Sub-Sahara wird die Lebenserwartung durch HIV/AIDS und andere Gesundheitsbedrohungen auf 40 Jahre und weniger herunter gedrückt. Eine globalisierte Gesellschaft, die durch solche extremen Ungleichgewichte charakterisiert ist, ist weder akzeptabel noch existenzfähig."

Guter Manager mit Abneigung gegen Konflikte

Aber ist Jong Wook Lee der richtige Mann, um bei den reicheren Ländern mehr Gelder für Gesundheitsarbeit in Entwicklungsländern locker zu machen? Oder um den Interessen der Pharmaindustrie zu trotzen? Der 58-Jährige gilt unter Beobachtern in Genf zwar als guter Manager, aber zugleich auch als eher konfliktscheue Persönlichkeit. Als brillanter Redner ist er bisher ebenfalls nicht aufgefallen.

Und unmittelbar nach seiner Wahl gab es bereits erste Kritik von Seiten verschiedener Nicht-Regierungsorganisationen: Der neue WHO-Generalsekretär hatte zwar angekündigt, bis 2005 eine medizinische Behandlung für drei Millionen AIDS-Kranke in Entwicklungsländern erreichen zu wollen. Er hatte aber offen gelassen, wie dies finanziert werden soll - und musste sich deshalb unbequeme Fragen stellen lassen. Jong Wook Lee schien über diese Vorwürfe überrascht - und konterte mit Optimismus: "Wissen Sie, wenn man sagt, man will nur dann etwas tun, wenn man auch das Geld dafür hat - wie kann dann überhaupt irgend etwas begonnen werden?"

Amtszeit beginnt Ende Juli

Natürlich hat diese Antwort seine Kritiker nicht überzeugt. Aber aller Anfang ist schwer - und auch Jong Wook Lee kann für sich das Recht in Anspruch nehmen, erst noch in sein Amt hinein wachsen zu müssen. Etwas Zeit hat er ohnehin noch: Seine Amtszeit beginnt offiziell erst am 21. Juli.