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"Schwimmbad-Knigge" für Flüchtlinge

Greta Hamann28. März 2016

Im Jahr 2015 sind 27 Flüchtlinge in Deutschland ertrunken. Viele Willkommensinitiativen bieten deswegen Schwimmkurse an. Dort lernen Flüchtlinge jedoch nicht nur, wie man sich über Wasser hält. Ein Besuch in Witten.

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Schwimmkurs für Flüchtlinge (Foto: DW/Greta Hamann)
Bild: DW/Greta Hamann

"Schwimmbad-Knigge" nennen die Mitglieder des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Witten ihr Osterferienangebot speziell für unbegleitete männliche Flüchtlinge. "Wir wollen auch die Etikette mitschulen und vermitteln, wie ein deutsches Schwimmbad funktioniert und worauf man achten muss", erklärt Bastian Wiebusch, Leiter der Wittener Wasserwacht, einer Unterabteilung des DRKs in Witten. Sein Interview gibt er - in roter Badehose - aus dem Wasser. Hinter ihm schwimmt Maan aus Syrien mit Flossen an den Füßen eifrig auf und ab. Der Rest der Gruppe hat sich um den Fünfmeter-Turm versammelt. Einer nach dem anderen springt waghalsig ins Wasser.

Deutsche Bade- und Verhaltensregeln sollen die jungen Männer, die aus Afrika und dem Nahen Osten stammen, lernen. Und so gibt es neben der zweistündigen Schwimm-, Tauch- und vom 5-Meter-Turm-Spring-Phase jeden Tag auch obligatorischen Theorieunterricht. Hier bringen die DRK-Ehrenamtlichen den jungen Männern beispielsweise bei, dass es in vielen Flüssen gefährliche Strömungen gibt und man im Hallenbad andere Mitschwimmende respektiert - auch die Frauen. Dass in Deutschland Männer und Frauen gemeinsam in einem Schwimmbad schwimmen gehen - und zur gleichen Zeit - ist für Mohammed aus dem Irak einer der größten Unterschiede zu seiner Heimat. Dort durften Frauen nur sonntags schwimmen gehen, erzählt der 17-Jährige.

Der Schwimmkurs ist somit auch Integrationsarbeit, erklärt die Wittener DRK-Kreisleiterin Tanja Knopp. Der Kurs ist eines von vielen Angeboten, die der Wittener DRK-Kreisverband für Flüchtlinge organisiert. Und er ist beliebt: "Alle unsere Schwimmkurse sind ausgebucht, es besteht also wirklich Bedarf", sagt Tanja Knopp. Da die meisten der jugendlichen Flüchtlinge männlich sind, haben sich die Wittener in den Ferien auf diese Zielgruppe spezialisiert. Trotzdem sind die Kurse offen für alle, die Interesse haben. Das ist den Wittenern wichtig, zu betonen. Niemand wird ausgeschlossen. Und auch für weibliche Flüchtlinge gibt es ein Angebot. Sie können an den regulären Schwimmkursen für Frauen teilnehmen.

Schwimmtrainer (Foto: DW/Greta Hamann)
Bastian Wiebusch ist in den Ferien jeden Tag mit den jungen Männern im SchwimmbadBild: DW/Greta Hamann

Fast 80 Prozent aller Ertrunkenen sind Männer

Dass sich das DRK jedoch besonders auf die jungen Männer konzentriert, hat noch einen weiteren Grund, einen traurigen: 77 Prozent der insgesamt 488 ertrunkenen Menschen waren laut Statistik der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) im Jahr 2015 männlich. In Witten ertrank im Sommer 2015 ein jugendlicher Flüchtling aus dem Irak. Er war in der Ruhr, die durch die Stadt fließt, schwimmen gegangen und wurde von der Strömung überrascht. Zwei Tage lang wurde nach ihm gesucht, bis ein Kajakfahrer ihn tot auffand.

"Wir hatten bereits vorher einen Schwimmkurs angedacht", sagt Bastian Wiebusch. "Dieses schreckliche Ereignis haben wir dann als Anlass genommen, die Pläne so schnell wie möglich umzusetzen."

Junge springt von 5-Meter-Turm
Waghalsiger Sprung für das obligatorische Facebook-FotoBild: DW/Greta Hamann

Auch in Bayern sind im warmen Sommer 2015 mehrere Flüchtlinge im Wasser gestorben. "Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, haben zumeist keine Erfahrung mit Gewässern", sagte Markus Ostermeier, stellvertretender Bundesausschussvorsitzender der DRK-Wasserwacht schon damals. "Aufgrund der Bedingungen in ihren Herkunftsländern können die wenigsten von ihnen schwimmen. Oft unterschätzen sie die Gefahren."

In Köln müssen immer öfter Flüchtlinge gerettet werden

Das konnten auch viele Bademeister in den Kölner Schwimmbädern feststellen. So müssen die Schwimmmeister gerade in Bädern, in denen es unterschiedlich tiefe Becken gibt, immer öfter Menschen retten, die von der Tiefe mancher Becken überrascht wurden. Viele von den Geretteten sprechen kein Deutsch und sind offenbar Flüchtlinge, so Achim Fischer, Sprecher der Kölner Bäder. Auch in der westdeutschen Großstadt Essen wurde ein Fall bekannt, in dem ein Schwimmmeister gleich drei Flüchtlinge auf einmal aus dem Wasser holen musste.

Fast jeden Tag tausche man sich in Köln darüber aus, wie man auch für Neuankömmlinge und Nicht-deutschsprachige die Bäder sicher machen könne, sagt Achim Fischer. Nach Ostern sollen in Köln dann auch die Baderegeln als verständliche Piktogramme aushängen. In München gibt es schon seit 2013 mehrsprachige Comic-Baderegeln in den Schwimmbädern.

Baderegeln in 25 Sprachen

Auch die DLRG hat die Baderegeln jetzt in 25 Sprachen übersetzt und bietet, wie das DRK, über seine Ortsvereine zahlreiche Schwimmkurse für Flüchtlinge an: "Wir sind vorbereitet", sagt DLRG-Sprecher Achim Wiese. "Gerade auch in diesem Jahr, wo noch mehr Flüchtlinge im Lande sind." Man stelle sich darauf ein, dass nahezu 100 Prozent nicht schwimmen können, so der DLRG-Sprecher.

Zurück im Wittener Hallenbad. Hier können sich die meisten der jungen Flüchtlinge bereits gut über Wasser halten - und haben auch keine Angst, sich aus der Höhe kopfüber ins Becken zu stürzen. Dass sie dabei nicht allzu übermütig werden sollen, erklärt Abdullah aus Syrien ihnen. Obwohl er selbst erst vor drei Monaten nach Deutschland geflüchtet ist, hilft er bereits als Übersetzer aus. Er spricht fließend Englisch und unterstützt Bastian Wiebusch und die anderen DRK-Ehrenamtlichen bei den Schwimmkursen: "Ich habe eine Menge durchgemacht und habe viel Hilfe gebraucht. Jetzt kann ich mich schon selbst um mich kümmern und deswegen will ich jetzt auch helfen." Seit einer Woche ist Abdullah bereits Mitglied beim DRK und ist somit auch offiziell ein Ehrenamtlicher. Bald will er sein Rettungsschwimmerabzeichen machen.