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Sekt oder Selters

Heinz Dylong16. November 2001

Rot-Grün steht am Scheideweg. Gerhard Schröder geht mit der Vertrauensfrage ein Risko ein: Nur sieben Abgeordnete der Koalition müssten gegen ihn stimmen und die Koalition wäre am Ende. Ein Kommentar von Heinz Dylong.

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Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wird im Bundestag die Vertrauensfrage stellen - verbunden mit der Entscheidung des Parlaments über den Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr. Damit bedient sich der Kanzler einer scharfen Waffe, um die Abgeordneten der Regierungskoalition aus SPD und Grünen möglichst geschlossen hinter sich zu bringen und die in der Tat grundsätzliche Entscheidung der deutschen Außenpolitik mit der vielbeschworenen "eigenen Mehrheit" durchzusetzen. Es dürfte ihm gelingen, denn auch zweifelnde oder mit ihrer Entscheidung ringende Abgeordnete der Grünen wissen nunmehr, dass ein Nein die Existenz der rot-grünen Regierung aufs Spiel setzen würde. Diesem Druck wird eine ausreichend große Zahl grüner Parlamentarier weichen.

Unter machttaktischen Gesichtspunkten dürfte das aktuelle Kalkül des Kanzlers aufgehen. Das Grundgesetz gibt dem Regierungschef eine starke Stellung, er verfügt über erhebliche Machtinstrumente, zu denen eben auch die Vertrauensfrage gehört. Er kann, muss sie aber nicht mit einer Sachfrage verbinden. In diesem Fall wird der Bundeskanzler es tun, auch wenn die Mehrheit für den Bundeswehreinsatz ohnehin gesichert gewesen wäre, da CDU/CSU und FDP ihre Zustimmung signalisiert hatten. Schröder besteht auf die eigene Mehrheit, die in der Sache also unnötig, politisch aber bedeutend ist. Denn der Kanzler weiß, dass die Opposition eine höchst verwundbare Stelle bei der Regierung finden würde, wenn die in dieser zentralen außenpolitischen Frage auf die Unterstützung von Union und FDP angewiesen wäre. Die Vertrauensfrage zu stellen, ist also nicht illegitim, aus Sicht des Kanzlers ist es gar folgerichtig. Dass sich nunmehr die ja auch in der Gesellschaft vorhandenen kritischen Stimmen nicht im Regierungslager widerspiegeln, nimmt er aus übergeordnetem Interesse in Kauf.

Das wirkliche, das voraussichtlich existenzbedrohliche Dilemma entsteht freilich für die Grünen. Für weite Teile der auch aus der Friedensbewegung der frühen 80er Jahre erwachsenen Partei ist der Kurs auf einen möglichen Kampfeinsatz der Bundeswehr nicht erträglich. Das dürfte sich schon bald zeigen. Der Rostocker Parteitag der Grünen am 24./25.November wird eine eigene Position finden. Und die wird mutmaßlich deutlich gegen den Einsatz der Bundeswehr gerichtet sein und damit der Haltung der eigenen Bundestagsfraktion widersprechen. Dann stellen sich den Grünen die Fragen nach dem Verbleib in der Regierung wieder neu, wenngleich man die Fähigkeit der Partei zu Formelkompromissen nicht unterschätzen darf.

Damit könnten sich die Grünen vor dem Auseinanderbrechen retten. Die Wähler bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr wird das nicht beeindrucken. Auch wenn in der Regierungspolitik seit dem Amtsantritt der rot-grünen Koalition eine grüne Handschrift zu erkennen ist, für die eigenen Anhänger ist sie vielfach ohnehin zu undeutlich - der Atomausstieg zu zögerlich, das neue Staatsbürgerschaftsrecht allzu halbherzig, und nun auch noch ein Ja zu einem Bundeswehreinsatz? Damit wird es den Grünen noch schwerer fallen, ihren Anhängern zu erklären, warum die Partei unbedingt in Parlament und Regierung vertreten sein muss. Das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde wird wahrscheinlicher.