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Regionen fördern

Das Interview führte Blagorodna Grigorova20. Februar 2008

Jan Diedrichsen, Kosovo-Experte und Minderheiten-Lobbyist, warnt vor weiteren neuen Staatsbildungen. Minderheiten sollten dagegen in Europa wesentlich besser geschützt werden, meint er im Gespräch mit DW-WORLD.DE.

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Die Sorben in der Region Niederlausitz bei einer traditionellen FeierBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Wie begegnen Sie als Repräsentant der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos?

Die FUEV als Dachorganisation der Minderheiten in Europa hat das Hauptziel, den Minderheiten in ihren Staaten gute Bedingungen zu gewährleisten. Dabei unterstreiche ich, dass es keinen Sinn macht, eigene Staaten zu gründen, Grenzen zu verschieben. Das sind Produkte aus dem alten Nationalstaatsdenken, die passé sind. Es gibt Möglichkeiten für Minderheiten, gute Beispiele für die Lösung in diesem Zusammenhang sind Südtirol oder Deutschbelgien.

Die Situation Kosovos ist allerdings ein Sonderfall. Die Situation, die wir dort seit 1999 durch das Einschreiten der Weltgemeinschaft haben, ist eine ganz andere als die, die wir in anderen Minderheitenregionen in Europa haben. Ich gratuliere den Menschen in Kosovo und wünsche ihnen sehr viel Erfolg, aber gleichzeitig muss ich sagen: Das Entscheidende ist die Situation der Minderheiten dort - sowohl der serbischen Bevölkerungsgruppe, als auch der Roma. Sie muss gelöst werden, wenn man die Zukunft Kosovos nachhaltig gestalten will. Es geht darum, eine Lösung dort zu finden, und das geht nur im Dialog mit den Minderheiten.

Sollte der Dialog zwischen den ethnischen Gruppen in Kosovo scheitern, wäre dann eine weitere territoriale Abspaltung als Instrument zur Stabilisierung der Region denkbar?

Nein, ich sehe überhaupt keine Möglichkeit für eine weitere Trennung. Dann kriegen ja die Kritiker, die jetzt vor allem in Russland aber auch in anderen europäischen Ländern laut werden, Recht. Dann öffnet man die Box der Pandora. Ich möchte noch einmal wiederholen: Kosovo ist ein Sonderfall in diesem Zusammenhang und wir sollten nicht noch weitere Grenzen in Europa verschieben. Es gibt keine Patentlösung für alle Regionen. Kosovo muss selbst eine Lösung finden, aber das geht nur dann, wenn es einen Ausgleich zwischen den Bevölkerungsgruppen gibt.

Serben werden im Kosovo vertrieben_2
Die Situation der Minderheiten in Kosovo muss gelöst werdenBild: dpa

Es gibt den Ahtisaari-Vorschlag und das ist die Grundlage, auf der wir arbeiten. Ganz wichtig hier ist, dass es ein Aufeinanderzugehen gibt, vor allem von Seiten der Kosovoalbaner. Ich weiß, wie schwierig das ist und das soll nicht naiv klingen, aber ohne große Schritte aufeinander, wird das nicht funktionieren. Die EU und die Weltgemeinschaft werden lange dort präsent sein. Das ist nicht so, als wäre ein neuer Nationalstaat geboren. Hier muss man differenzieren. Wie sich das völkerrechtlich entwickeln wird, das kann man heute noch nicht sagen.

Nicht alle EU-Staaten möchten im Moment die Unabhängigkeit Kosovos anerkennen. Es fällt dabei auf, dass es sich um Staaten handelt, in denen es große Minderheiten gibt. Sie befürchten, dass der Fall Kosovo sich zu einem Präzedenzfall entwickeln kann. Sind diese Befürchtungen begründet?

Nein, absolut nicht. Erstmal zeigt das, wie weit wir noch in der EU an unseren gemeinsamen außenpolitischen Zielen arbeiten müssen. Ich würde den EU-Staaten auch wünschen, weiterhin selber dafür zu sorgen, dass es ihren Minderheiten gut geht. Denn, wenn es ihren Bevölkerungsgruppen gut geht, werden sich auch die Bestrebungen, Unabhängigkeit im Sinne des klassischen Nationalstaates zu erlangen, verringern. Ich kann hier ein paar Beispiele aufführen - Südtirol oder die deutsche Minderheit im Norden Italiens, ein Autonomiemodell das wirklich friedlich ist. Es gibt sehr gute weitreichende Autonomiemodelle in Spanien.

Nationalfeiertag in der Schweiz
Die Schweiz - ein Erfolgsmodell für das friedliche Zusammenleben verschiedener VolksgruppenBild: AP

Von daher denke ich, die Staaten, die sich jetzt verweigern, die Unabhängigkeit anzuerkennen, sich im Laufe der Zeit einigen werden. Sie müssen keine Angst haben die Tatsache ins Auge zu sehen und als der Verband der Minderheiten in Europa möchte ich an die EU-Staaten appellieren, nehmen sie die Sorgen ihrer Minderheiten ernst. Denn, wenn sie mit ihnen friedlich umgehen, sind sie für sie eine Bereicherung und keine Gefahr.

Gleichzeitig möchte ich allen Minderheiten in Europa sagen, dass die Forderung nach Unabhängigkeit im Sinne des klassischen Nationalstaates aus Sicht der FUEV überholt ist. Selbstbestimmung, Autonomielösung - ja; eigene Staatsbildung - nein. Ein Europa der Regionen finde ich ein schöner Gedanke. Ich will damit sagen, dass der Nationalstaat nicht per se verteufelt werden muss. Ich respektiere den Konstrukt Nationalstaat. Trotzdem freue ich mich, wenn in den Grenzregionen wie zum Beispiel Deutschland und Dänemark, wo ich lebe, ein Regionalgefühl entsteht. Ich freue mich, dass es einen Austausch zwischen Deutschen und Dänen gibt, der ernst gemeint ist. Heutzutage sehen wir uns als Partner und nicht als Gegner. Ich weiß, das hört sich alles wie Träume an, und man würde in Kosovo nur müde darüber lächeln. Aber vor 40 Jahren haben bei uns auch sehr viele bei dem Gedanken müde gelächelt, dass man friedlich miteinander arbeiten kann. Und das ist jetzt möglich

Jan Diedrichsen
Bild: Bund Deutscher Nordschleswiger

Jan Diedrichsen ist Repräsentant und Kosovo-Experte der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV). Sie ist eine Dachorganisation der nationalen Minderheiten in Europa und hat eine Lobbyfunktion. Das Hauptziel der FUEV ist, die nationale Identität, die Sprache, Kultur und Geschichte der verschiedenen Volksgruppen zu erhalten und zu fördern. Gleichzeitig tritt die Union gegen Separatismus und jede gewaltsame Grenzverschiebung auf.