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Einmal schwerelos

Jens Krepela7. März 2016

Parabelflüge ermöglichen Forschung ohne lästige Schwerkraft. DW-Reporter Jens Krepela begleitet zwölf Teams von Wissenschaftlern bei einer Reihe solcher Flüge - und erlebt selbst die Faszination der Schwerelosigkeit.

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Wissenschaftler bei Parabelflug (Foto: DLR).
Bild: DLR

Früh am Morgen schiebt sich langsam die Sonne über den Horizont am Rande des Flughafens von Bordeaux-Mérignac, Frankreich. Drinnen im unscheinbaren Flachbau aus Bürocontainern herrscht schon viel Betrieb. In engen Boxen von ein paar Quadratmetern präparieren zwölf Forscherteams ihre Versuche für den heutigen Flug.

"Eine Mischung aus Vorfreude, aber auch ein bisschen Angst", drückt einer der jungen Probanden seine Gefühlslage aus. Er ist von Kopf bis Fuß mit Sensoren beklebt, die den Wechsel der Flüssigkeitsverteilung in seinem Körper messen sollen. In einer anderen Ecke warten Wasserflöhe in Weckgläsern auf ihren Einsatz.

Es sind höchst unterschiedliche Fachrichtungen, Charaktere und sogar Generationen die hier auf engem Raum zusammengewürfelt sind. Während die Anspannung der Erstflieger mit Händen zu greifen ist, wirkt Johann Plank von der TU München nicht sonderlich nervös.

Der 63 Jahre alte Professor für Bauchemie gehört zu den Vielfliegern. Sein ganzes Interesse gilt Zement. Stundenlang kann er begeistert über Kristallisationsprozesse des Baustoffs erzählen, die sich in Schwerelosigkeit viel besser studieren lassen. Nebenan, im Labor, bereiten Biologen ihr Experiment vor. Das Team von der Uni Marburg, zu dem auch Christoph Forreiter (Universität Siegen) gehört, untersucht, wie Pflanzen der Gattung "Gänserauke" auf Schwerelosigkeit und ein Magnetfeld reagieren.

Frankreich Airbus A-310 Forschungsflugzeug der Firma Novespace für Parabelflüge (Foto Copyright: DW/J. Krepela)
Früher deutscher Regierungsjet, jetzt fliegendes Forschungslabor: der Airbus A310 Zero-GBild: DW/J. Krepela

Wechsel der Extreme

Was die Teams bei aller Unterschiedlichkeit verbindet, ist die Lust auf Forschung. Und natürlich sorgt die Tatsache, dass hier unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit geforscht werden kann, für zusätzliches Kribbeln.

Das stellt sich spätestens ein, wenn in dem zum Labor umgebauten, ehemaligen Kanzler-Airbus das Kommando "Pull-up" zu hören ist. Die Parabel beginnt!

Mit vollem Schub steigt die Maschine immer steiler in die Luft. Jeder an Bord wird fast mit dem Doppelten seines Gewichts gen Boden gedrückt. "30....40", meldet das Cockpit den Steigwinkel. Überraschend deutlich ist zu spüren, wie das Blut in die Beine sackt.

Schließlich schallt "Injection" aus den Lautsprechern. Sekunden zuvor hat die Cockpit-Crew den Schub abgestellt, es ist der Moment, in dem die Phase der Schwerelosigkeit beginnt. Dieser jähe Wechsel der Extreme ist überwältigend. Ein Gefühl als würden Flugzeug und Insassen von einem riesenhaften Katapult in die Luft geschnalzt. Forscher und Probanden auf den rund 100 Quadratmetern Experimentierfläche des Fliegers beginnen zu schweben. Augen und Gleichgewichtssinn liefern Eindrücke, mit denen das Hirn vieler Erstflieger erst mal überfordert ist. Doch ein Medikament hilft den meisten dabei, den aufkommenden Schwindel in Schach zu halten.

Volle Kraft für die Messplatte

Umso größer ist der Respekt vor Forschern, die von der ersten Sekunde an hochkonzentriert ihre Experimente vorantreiben und den Probanden, die ohne Medikament zurechtkommen müssen, weil es Einfluss auf die Ergebnisse haben könnte. "Press! Go, go, go...!", feuert Jakob Kümmel seine Testperson an. Die muss mit voller Kraft ein Bein gegen eine Messplatte drücken. Der Druck wird registriert und gleichzeitig die komplette Beinmuskulatur mit mehreren Sensoren und per Ultraschall überwacht. Kirsten Albracht von der Sporthochschule Köln möchte dadurch herausfinden, welche Kleinigkeiten Muskeln und Nerven in Schwerelosigkeit stören. Denn trotz ausgefeilter Trainingsmethoden und viel zeitlichem Aufwand für körperliche Fitness verlieren Astronauten bei Langzeitaufenthalten an Kraft.

"Pull out" - dieses Kommando markiert nach jeweils rund 22 Sekunden das Ende der Schwerelosigkeit. Es folgt wieder eine kurze Phase der fast doppelten Schwerkraft, bis die Maschine wieder normale Fluglage eingenommen hat. Insgesamt sechs Serien à fünf Parabeln werden geflogen.

Das zeitliche Korsett während der Parabelserien ist eng. Treten Probleme auf, bleibt wenig Spielraum. "Next parabola delayed for two minutes", quäkt der Lautsprecher. "Das Messsystem für die Atemgase streikt", erklärt eine junge Sportwissenschaftlerin, während sie versucht das System neu zu starten. Sie hatte bei der Crew um den kleinen Aufschub gebeten. Doch die Zeit reicht nicht, die Sensoren liefern keine Daten. Auch am anderen Ende der Experimentierfläche läuft nicht alles glatt. Die raumfahrterfahrenen Physiker des DLR haben Probleme mit ihrem Hochleistungs-Schmelzofen. Irgendwo in der feinen Mechanik des Probengebers klemmt es.

Teuer ist eine Frage der Perspektive

In der Vorbereitung der Flüge wird alles getan, um solche Probleme zu minimieren. Bewerben kann sich grundsätzlich jeder auf die begehrten Plätze. Jedoch müssen alle ihre wissenschaftliche Qualität ebenso nachweisen wie Erfahrung im Aufbau der fliegenden Experimente. "Eine interessante Forschungsidee allein reicht nicht aus", erklärt Ulrike Friedrich, die Projektleiterin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.

Kein Wunder: Rund 1,5 Millionen Euro kostet eine solche Serie von Parabelflügen. Sie sind deshalb so begehrt, weil es die einzige Möglichkeit ist einen größeren Kreis von Testpersonen unter Schwerelosigkeit zu untersuchen - und auch für die Forscher die einmalige Gelegenheit selbst ihre Experimente zu betreuen. "Ein Experiment auf der Raumstation ISS ist um ein Vielfaches teurer", erklärt Friedrich und fügt hinzu, "deshalb durchläuft praktisch alles was irgendwann auf der ISS zum Einsatz kommt mehrere Testserien hier."

Frankreich DW-Reporter Jens Krepela schwebt während der Schwerelosigkeits-Phase (Foto Copyright: DW/J. Krepela)
Schwebezustand: DW-Reporter Jens KrepelaBild: DW/J. Krepela

Dafür ist das DLR zweimal im Jahr Kunde bei Novespace. Die kleine Firma ist eine Ausgründung der französischen Raumfahrtagentur. In Bordeaux stellt sie das Flugzeug und die nötige Logistik für die Forschung bereit. Und natürlich die Crew aus erfahrenen, speziell ausgebildeten Piloten, die die extremen Manöver fliegen.

Die letzten Male ziehen sie die Nase des Fliegers an diesem Tag steil in die Luft. Dafür arbeiten sie zu Dritt gleichzeitig in dem engen Cockpit. Ihr Zusammenspiel muss perfekt passen.

Letzte Runde

Hinten auf der Versuchsfläche ist die Stimmung jetzt etwas entspannter. Fabian Möller - ein junger Proband, der seine Versuchsreihe schon absolviert hat - wartet gemeinsam mit Johann Plank auf den magischen Moment. In dem kleinen, durch Netze abgetrennten Bereich, nutzen sie die 22 schwerelosen Sekunden für ganz unwissenschaftliches Schweben. Nach 30 Parabeln werden sie insgesamt gut elf Minuten ohne Schwerkraft - also Newtons Entdeckung - verbracht haben.

Die eigentliche Arbeit für alle Teams beginnt erst nach der Landung. Denn dann gilt es, die während der insgesamt drei Flugtage gesammelten Daten zu analysieren und daraus Schlüsse zu ziehen. Mit Ergebnissen rechnen sie in drei bis sechs Monaten.