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Senior-Azubi - die zweite Chance

Monika Lohmüller28. Juli 2012

Sie sind schon etwas älter, drücken aber gemeinsam mit den Jüngeren die Schulbank: die Senior-Azubis der Großbäckerei K&U in Baden-Württemberg. Das Unternehmen will so dem Fachkräftemangel entgegen wirken.

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Es zeigt u.a. die Senior-Azubis der Bäckereikette K+U in Neuenburg im Breisgau.
Deutschland Senior-AzubisBild: K+U

Es duftet nach frischem Brot und Kuchen. Das Angebot in der Ladentheke macht die Wahl zur Qual. Sabine Wagner, die nette Verkäuferin hinter der Theke, ist bei der Suche nach etwas Süßem behilflich: "Das ist ein Schoko-Birnen-Sandtörtchen und das eine Kuchenschnitte mit cremigem Zimtbelag." Die Wahl ist getroffen. Die Zimtschnitte liegt auf meinem Teller, daneben steht mein Café Creme.

Und dann erzählt Sabine Wagner, dass sie vor zwei Jahren arbeitslos wurde und keinen Job fand. Jetzt ist die 46-Jährige als Senior-Auszubildende bei der Großbäckerei K&U im südbadischen Neuenburg beschäftigt - und auf dem Weg zur Bäckereifachverkäuferin: "Ich habe über die Ausbildung bei K&U beim Arbeitsamt erfahren. Das hat mir auf Anhieb gut gefallen."

Sabine Wagner, Senior-Azubi
Senior-Auszubildende Sabine WagnerBild: DW

Die Bäckereikette K&U kam angesichts des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels in Deutschland auf eine bislang einzigartige Idee: "Wegebau" heißt das Pilotprojekt, das 2010 gemeinsam mit der Arbeitsagentur Freiburg in Zusammenarbeit mit der Fördergesellschaft der Handwerkskammer ins Leben gerufen wurde. Corinna Krefft-Ebner ist Ausbildungsleiterin bei K&U und erklärt: "Wir haben festgestellt, dass wir unsere offenen Ausbildungsplätze nicht mehr besetzen können. Wir haben jährlich zwischen 150 und 170 offene Ausbildungsstellen, die wir unbedingt als Fachkräfte benötigen."

Gleich eine ganze Berufsschulklasse

Normalerweise nutzten die Unternehmen die Fördergelder für die Einrichtung von ein oder zwei Ausbildungsplätzen für Ungelernte. K&U hat gleich einen ganzen Berufsschullehrgang eingerichtet. Der Fachkräftemangel sei vor einigen Jahren schon absehbar gewesen, sagt Krefft-Ebner. Deutschland befinde sich bereits im demographischen Wandel. Und das bedeute, so die Ausbildungsleiterin, dass künftig noch weniger junge Menschen für eine Ausbildung zur Verfügung stünden.

Ohnehin ist es nicht ganz leicht, für dieses Handwerk Lehrlinge zu finden. Die Suche nach einer Bäckereifachkraft sei schon recht schwierig, aber zu meistern. Wenig Interesse zeigen junge Leute allerdings für den Beruf des Bäckers oder Konditors, so Krefft-Eber. Ob das wohl am Arbeitsbeginn in den frühen Morgenstunden liegt?

Blockunterricht zusammen mit jungen Lehrlingen

Die ersten Senior-Azubis sind 2010 an den Start gegangen. In Theorie und Praxis erlernen sie ihren neuen Beruf. Mittlerweile drücken 22 ältere Auszubildende zwischen 27 und 56 Jahren noch einmal die Schulbank. Sie haben nicht nur zwei- bis dreiwöchigen Blockunterricht mit den Jüngeren, sondern wohnen und leben in dieser Zeit mit ihnen zusammen in einem an den Berufsschulen angegliederten Internat.

Für die angehende Bäckereifachverkäuferin Sabine Wagner sind die Lehrjahre eine interessante und wertvolle Erfahrung: "Wir lernen in der Schule vieles, was wir hier im Betrieb nicht so auf die Schnelle beigebracht bekommen."

Lehrzeit für Ältere reduziert

Sabine Wagner hat ihre schriftliche Prüfung bereits hinter sich. Sie muss im Gegensatz zu jüngeren Azubis nicht drei Jahre lang lernen. Über sogenannte Ausbildungsbausteine, die in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer erarbeitet wurden, ist die Lehrzeit für Ältere auf zwei Jahre reduziert worden, sagt Corinna Krefft-Ebner. Die meisten brächten schließlich schon Erfahrungen aus dem Berufsleben mit:: "Es sind Leute darunter, beispielsweise Friseurinnen, ein großer Teil kommt auch aus der Gastronomie. Darunter wiederum Leute, die eine Ausbildung begonnen und dann aus privaten Gründen abgebrochen haben."

Arbeitslose und Migranten gehören auch zu den Spätauszubildenden bei K+U. "Das Besondere ist, dass wir über die Mitarbeiter in unserem Unternehmen ein Persönlichkeitsprofil erstellen, das uns zeigt, inwieweit sich ein Mensch für ein bestimmtes Berufsbild eignet. Schließlich ist ja jeder von uns eine Persönlichkeit mit Stärken, besonderen Interessen und Talenten", so Krefft-Ebner.

Höheres "Lehrgeld" für Senioren

Die Senioren erhalten während ihrer Ausbildungszeit mehr Geld als die jüngeren Lehrlinge. Ansonsten könnten sich diejenigen, die eine Familie zu ernähren haben, diesen Schritt in ein neues Berufsleben nicht leisten. Ein großer Teil des Gehaltes wird aus den Fördertöpfen der Arbeitsagentur in Freiburg finanziert: "Das ist ein sehr ausschlaggebender Punkt: Sie arbeiten nicht für 600, 700 Euro Ausbildungsgehalt, sondern sie erhalten den Lohn einer ungelernten Verkaufshilfe", sagt Krefft-Ebner. Das sind etwa 1.500 Euro.

Die Idee auch ältere Menschen zur Bäckereifachkraft auszubilden, sagt Krefft-Ebner, sei nicht nur eine Reaktion auf den Fachkräftemangel gewesen. Vielmehr würden heute viel stärker Waren- und Fachkenntnisse von den Kunden nachgefragt. Denn das Interesse, sich gesund zu ernähren, habe erheblich zugenommen. Und mit ungelerntem Verkaufspersonal sei dieser Anspruch nicht zu erfüllen.

Backwaren der Bäckerei K+U Neuenburg
Die Kunden wollen wissen, was drin ist - in den BackwarenBild: DW

Die Großbäckerei K&U gehört zum Edeka-Konzern und beschäftigt 5.000 Mitarbeiter an fünf Produktionsstandorten. 830 Fachgeschäfte gibt es, sie sind vornehmlich im Süden Deutschlands zu finden. K&U ist Gewinner des Demografie Exzellenz Awards 2011 in der Unternehmenskategorie "Mehr als 250 Mitarbeiter". Mit diesem Preis werden seit 2010 Unternehmen aus Baden-Württemberg ausgezeichnet, die mit "Leuchtturmprojekten“ beispielhaft auf den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel reagieren.