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Seniorenheime unbekannt

30. Dezember 2005

In arabischen Ländern ist es Ehre und Verpflichtung zugleich, dass die Kinder ihre gealterten Eltern versorgen. Auf die Idee, sie der staatlichen oder karitativen Fürsorge zu überlassen, käme dort niemand.

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Alt geworden im Kreis der FamilieBild: dpa

"Das beste Fett findest du beim alten Huhn", sagt ein ägyptisches Sprichwort. Gemeint ist damit, dass man die Erfahrung und Weisheit des Alters hoch schätzen soll. Tatsächlich bringt man den Alten in der arabischen Welt bis heute großen Respekt entgegen. Der im Westen so verbreitete Jugendkult ist zwar in Libanon schon angekommen, wo sich viele ältere Frauen Schönheitsoperationen unterziehen und Männer ihre Haare färben. Doch die meisten Araber genießen jenseits der 60 das Altern in Würde.

Auf die Kinder angewiesen

Wenn sich die Alten selbst nicht mehr versorgen können, kümmern sich meist Töchter und Schwiegertöchter um sie. "Das Leben in der Familie ist der Unterbringung in einer Institution in jedem Fall vorzuziehen", meint der Sozialwissenschaftler Raschad Abdullatif von der Kairoer Helwan-Universität. Während es ihnen in den Golfstaaten zumindest finanziell an nichts mangelt, müssen sich Senioren in ärmeren Ländern wie Ägypten oft auch finanziell auf ihre Kinder verlassen. Nur rund 35 Prozent der Ägypter leben im Alter ausschließlich von ihrer Rente, rechnet Abdullatif vor. Die meisten von ihnen sind ehemalige Beamte. Die große Masse der Tagelöhner, Gemüseverkäufer, Parkwächter, Fahrer und Putzfrauen hat dagegen keine Rentenversicherung.

Ohne Töchter sieht man alt aus

Wegen der hohen Geburtenraten gibt es in den arabischen Ländern bisher kein Problem mit den Rentenbeiträgen. In Ägypten sind nur 6,3 Prozent der Bevölkerung älter als 60 Jahre, in der Bundesrepublik sind es inzwischen 25 Prozent. Doch da vor allem die Mädchen dazu erzogen werden, sich später einmal um ihre pflegebedürftigen Eltern zu kümmern, hat derjenige schlechte Karten, der nur Söhne hat.

So wie ein 90-Jähriger, der seine alten Tage im Hauseingang eines Hochhauses im Kairoer Innenstadtviertel Garden City auf einer schmutzigen gemauerten Bank verbringt. "Onkel Ahmed" hört und sieht nicht mehr richtig und kann sich kaum noch artikulieren. Die mit ihm nicht verwandten Kinder eines Hausmeisters kümmern sich um ihn. Die jüngste Tochter stellt ihm mittags einen Teller mit Reis und Gemüse hin. Der Sohn des Hausmeisters führt ihn zur Gebetszeit am Arm zur Moschee. An guten Tagen kommt abends einer von "Onkel Ahmeds" Söhnen, um ihn nach Hause zu bringen. An schlechten Tagen schläft er auf der Bank.

Heime sind Tabu

In Ägypten, das mehr als 70 Millionen Einwohner hat, gibt es nur rund 20 Altenheime. Die meisten dieser Heime sind staatlich. Nur in Kairo und Alexandria gibt es jeweils ein kleines privates Seniorenheim mit Monatsgebühren von umgerechnet rund 500 Euro. Kaum ein Ägypter hat so viel Geld zur Verfügung. In Syrien hat sich die Einstellung zu professioneller Betreuung für pflegebedürftige Alte in den vergangenen Jahren gewandelt. Hier gibt es inzwischen zahlreiche Altenheime, und einige Senioren ziehen die Unterbringung in einer dieser Einrichtung sogar dem Leben in der Großfamilie vor. In Jordanien ist es dagegen immer noch ein Tabu, seine Eltern im Heim wohnen zu lassen. Da oft beide Ehepartner arbeiten, gibt es jedoch in vielen Familien inzwischen niemanden mehr, der Zeit hat, sich zu Hause um die Alten zu kümmern.

Die Alten bleiben in der Familie

In Saudi-Arabien, wo nur sehr wenige Frauen arbeiten, existiert dieses Problem nicht. Die Frauen können sich dort selbstverständlich um die Alten kümmern. Deshalb gibt es im gesamten Land auch nur zehn Altenheime, in denen fast ausschließlich Menschen leben, die keine Familie mehr haben. Die Kosten trägt der Staat, der ihnen auch ein bescheidenes Taschengeld zahlt. In den Altenheimen des islamischen Königreichs leben Männer und Frauen voneinander getrennt. Im Nachbarland Jemen, dem Armenhaus der arabischen Halbinsel, haben viele keine Rente. Es gibt aber landesweit nur ein einziges Altenheim - für Frauen. Das "Seniorenstift für Frauen" in der Hauptstadt Sanaa finanziert sich durch Spenden. Für Männer gibt es keine Altenheime. Seine Eltern im Alter nicht selbst zu versorgen, gilt bei den Jemeniten als große Schande.