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Sigmar Gabriel in Serbien

Nemanja Rujević16. November 2014

Serbien möchte der EU beitreten, ohne Russland zu verärgern. Vom Besuch des deutschen Wirtschaftsministers Gabriel erwartet Belgrad Verständnis für seine Doppelstrategie - und hofft auf neue Investitionen.

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Plakate mit Wladimir Putin in Belgrad (Foto: DW/Ivica Petrović)
In Belgrad wurde Putin als ein besonders willkommener Gast empfangenBild: DW/I. Petrović

Zurzeit reisen viele internationale Politiker in die serbische Hauptstadt Belgrad. Anfang Oktober kam der russische Präsident Wladimir Putin, es folgten der französische Premierminister Manuel Valls, die Regierungschefs von Montenegro und Rumänien sowie der norwegische Thronfolger. Dann reiste im zweiten Anlauf der albanische Regierungschef Edi Rama in die serbische Hauptstadt - ein historisches Treffen, denn es handelte sich um den ersten Besuch eines albanischen Ministerpräsidenten seit fast siebzig Jahren. Am heutigen Sonntag kommt nun auch der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel, begleitet von einer großen Wirtschaftsdelegation.

Die Bandbreite der Besucher ist Ausdruck der zwiespältigen serbischen Außenpolitik. Einerseits will Belgrad gute Beziehungen zu Moskau pflegen und den eigenen Wählern zeigen, wie wichtig Serbien auf internationalem Parkett ist. Gleichzeitig möchte sich das Land aber auch als EU-Musterschüler und netter Nachbar auf dem Balkan präsentieren - jener Region, die als "Pulverfass Europas" gilt.

In diesem Zusammenhang ist Gabriels Reise nach Belgrad weit mehr als der Arbeitsbesuch eines westlichen Wirtschaftsministers: In Serbien herrscht die Überzeugung, dass die EU-Beitrittsverhandlungen des Landes erst beginnen können, wenn Berlin grünes Licht gibt. Ginge es nach dem Wunsch Belgrads, könnten die Gespräche schon im Dezember anfangen.

Sigmar Gabriel (Foto: Reuters)
Wirtschaftsminister Gabriel besucht SerbienBild: Reuters/Axel Schmidt

Schwieriger Mittelweg

Der Versuch, im Spannungsfeld zwischen Osten und Westen neutral zu bleiben, sei die einzige vernünftige Option für die serbischen Politiker, meint der Journalist und Balkan-Experte Andrej Ivanji. In der Vergangenheit haben russische Milliarden Serbien mehrmals vom Bankrott gerettet. So wurde der staatliche serbische Ölmonopolist NIS für wenig Geld an den Konzern Gazprom verkauft, 800 Millionen US-Dollar bekam das Land, um die marode serbische Eisenbahn zu sanieren und mehrmals vergab Moskau günstige und zweckfreie Kredite an Serbien, nur um die Löcher im Staatshaushalt zu stopfen. "Im Augenblick ist keiner in der Lage, die wirtschaftliche Präsenz von Russland zu ersetzen," so Ivanji.

Gleichzeitig braucht Serbien die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Brüssel sowie Investitionen aus der EU. "Ohne Unterstützung sowohl aus Brüssel als auch von Moskau würde das Land ökonomisch kollabieren", ist sich Ivanji sicher.Schätzungen zufolge liegt die Arbeitslosigkeit zurzeit bei rund 26 Prozent, wobei mehr als die Hälfte der jungen Menschen keinen Job hat. Im Land gibt es mehr Rentner als Beschäftigte, der Durchnittslohn beträgt etwa 400 Euro netto im Monat. Schwarzarbeit und Korruption blühen.

Auch politisch versucht die Regierung in Belgrad einen Spagat zwischen Ost und West zu schaffen. Bei der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland wählte der serbische Regierungschef Aleksandar Vučić einen mittleren Weg: Serbien erkenne die volle Souveränität der Ukraine an, wolle sich aber den europäischen Sanktionen gegen Moskau nicht anschließen. Diese Position wurde von mehreren europäischen Politikern kritisiert. Darf ein EU-Beitrittskandidat so etwas? "Er darf", sagt entschlossen der deutsche SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan. "Wir kennen alle die wirtschaftliche Situation in Serbien, sowie die besondere Beziehung zu Russland, und es wäre heuchlerisch, wenn man jetzt den Gradmesser an Serbien legt in der Frage, wie das Land mit Russland umgeht", so Nietan gegenüber DW.

Edi Rama und Aleksandar Vucic in Belgrad 10.11.2014 (Foto: EPA/ARMANDO BABANI/dpa)
Edi Rama im November in Belgrad - ein historisches TreffenBild: picture-alliance/dpa

Aus europäischer Sicht ist die Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo viel wichtiger. Die frühere serbische Südprovinz erklärte 2008 einseitig ihre Unabhängigkeit, inzwischen ist der Kosovo von über hundert Ländern als Staat anerkannt - allerdings nicht von Serbien. Unter dem Druck der EU kam es zu mehreren Gesprächen zwischen den führenden Vertretern beider Staaten, die Versöhnung wurde zuletzt ausgerechnet von den ehemaligen Feinden vorangetrieben. Jüngst schlossen die beiden Regierungen mehrere bilaterale Abkommen ab.

Der "Kosovo-Bonus"

Mit dem Pragmatismus beim Thema Kosovo präsentiert sich Vučić auf der internationalen Bühne als ein friedfertiger Politiker. Doch sein Land regiert er autokratisch. Wenige unabhängige Medien bezeichnen ihn als "putinisierten" europäischen Machthaber, neben Viktor Orbán in Ungarn, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei oder Victor Ponta in Rumänien. Unter anderem werden auch in Serbien kritische Journalisten unter Druck gesetzt und aus der Öffentlichkeit verbannt. So wurden neulich mehrere beliebte Fernsehsendungen abgeschafft, darunter auch die berühmte politische Talkshow "Eindruck der Woche". Die Autorin Olja Bećković berichtet, der Premier habe sie zuvor persönlich am Telefon angeschrien. "Der Staat zeigt uns auf diese Weise, dass er keinen Raum für Gesellschaftskritik möchte", sagt Vukašin Obradović, Präsident der größten journalistischen Gewerkschaft des Landes NUNS. Das klare Ziel sei es, Journalisten einzuschüchtern, so Obradović im DW-Gespräch.

Merkel und Vucic im Bundeskanzleramt 11.06.2014 (Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann/dpa)
Vučić war im Juni bei Kanzlerin Merkel zu BesuchBild: picture-alliance/dpa

Der deutsche Sozialdemokrat Nietan gibt zu, dass Vučić im Westen zurzeit eine Art "Kosovo-Bonus" genießt. "Es gab große Sorgen, dass es mit Vučić Rückschritte in den Beziehungen zum Kosovo geben könnte. Jetzt mussten wir feststellen, dass Vučić zu den konstruktiven Kräften gehört." Dieser Bonus bestünde aber nicht für immer und müsse immer wieder neu erarbeitet werden, so Nietan - auch im Bereich der Pressefreiheit oder der Rechtsstaatlichkeit.

Der serbische Journalist Ivanji ist davon nicht überzeugt. In Berlin oder Brüssel, sagt er, betrachte man Serbien nicht isoliert für sich, sondern nur als Teil der Region. Da spiele Serbien eine wichtige Rolle: Belgrad könne Probleme im Kosovo beruhigen und auch das Verhältnis zu Bosnien und Kroatien. "Solange Serbien die Rolle des Stabilitätsfaktors spielt, wird alles andere den Europäern weniger wichtig sein – zum Beispiel ob es eine Opposition oder Medienfreiheit in Serbien überhaupt gibt", glaubt Ivanji.