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Politik

Serbien: Lehrauftrag für Kriegsverbrecher

20. Oktober 2017

Ein serbischer Kommandeur aus dem Kosovo-Krieg soll an der Belgrader Militärakademie unterrichten. Dass er wegen Kriegsverbrechen im Gefängnis war, stört die Regierung nicht. Sie spielt die nationalistische Karte.

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Früherer serbischer General und Kriegsverbrecher  Vladimir Lazarevic
Nebojša Pavković (l.) und Vladimir Lazarević wurden wegen Verbrechen im Kosovo-Krieg verurteilt (Archivbild, 2000) Bild: picture alliance/AP/D. Vojinovic

Eigentlich darf die serbische Militärakademie "angesehene Wissenschaftler" jederzeit als Gastdozenten engagieren. So steht es in ihrem Statut. Die Regelung wird gerade sehr kreativ gedeutet: Die künftigen Offiziere sollen nun von Vladimir Lazarević und zwei weiteren prominenten Kommandeuren aus dem Kosovo-Krieg unterrichtet werden. Das Verteidigungsministerium hat ihnen den Lehrauftrag angeboten. Verteidigungsminister Aleksandar Vulin lobte die Generäle als "außergewöhnliche Menschen", und erklärte: "So wird das Unrecht wiedergutgemacht, das ihnen in den letzten Jahren angetan wurde."    

Ein Unrecht? Im Kosovo-Krieg (1998-1999) wurden rund 10.000 albanische Zivilisten getötet und fast eine Million aus der damaligen serbischen Südprovinz vertrieben. Auch Hunderte von serbischen Zivilisten starben bei den Racheaktionen der kosovarischen Guerilla und während der NATO-Bombardierung von 1999, die dem Krieg ein Ende setzte und Kosovo praktisch unabhängig machte.  

Für Vladimir Lazarević, den damaligen Befehlshaber des Kosovo-Korps der serbischen Armee, gab es jedoch ein Nachspiel: Das UN-Tribunal in Den Haag verurteilte ihn zu 14 Jahren Haft. Das Gericht sah es als bewiesen an, dass Lazarević zusammen mit weiteren hochrangigen Offizieren an einer systematischen "ethnischen Säuberung" gearbeitet hat. Es war eine gewaltige Operation, auch logistisch - rund 1.000 Leichen von getöteten Albanern fand man nach dem Krieg in vier Massengräbern, teilweise hunderte Kilometer von Kosovo entfernt. Lazarević wurde 2015 aus der Haft entlassen, nachdem er zwei Drittel der Strafe verbüßt hatte.

Ehemaliger serbischer General und Kriegsverbrecher  Vladimir Lazarevic
Lazarević vor dem Tribunal in Den Haag im Jahr 2005 Bild: AFP/Getty Images/B. Czerwinski

Empörung im Kosovo    

"Was sollen solche Leute den künftigen Offizieren überhaupt beibringen? Wie man vor dem Haager Gericht landet?", empört sich Anita Mitić, die Direktorin der Jugendinitiative für Menschenrechte, einer regionalen NGO. "Was sie gemacht haben, ist durch jede Kriegskonvention verboten. Ihr einziger 'Beitrag' ist die Schande, die sie der serbischen Armee und dem Land zufügten."

Die Jugendinitiative hatte schon Ärger mit einem anderen Kriegsverbrecher, der in Serbien quasi rehabilitiert wurde. Veselin Šljivančanin, der in Den Haag wegen Verbrechen in der kroatischen Stadt Vukovar inhaftiert war, nimmt regelmäßig an den Podiumsdiskussionen der regierenden Serbischen Fortschrittspartei teil. Als im Januar die Aktivisten ein Vortrag von Šljivančanin verhindern wollten, antworteten seine Fans mit Schlägen.  Die Nachrichten über die Lehraufträge in Belgrad sorgten im Kosovo für Empörung. Der bekannte kosovarische Intellektuelle Veton Surroi, Herausgeber der Tageszeitung Koha Ditorë, erinnert an eines der Verbrechen von 1999, als 24 albanische Jungen regelrecht hingerichtet wurden: "Eine der Lektionen auf der Militärakademie könnte nun sein, wie man Kinder exekutiert, um angeblich die Integrität Serbiens zu verteidigen", schrieb Surroi auf Facebook.     

Dabei ist die rechtliche Lage unbedenklich: Man wird verurteilt, sitzt ein, kommt aus dem Gefängnis heraus und soll wieder ein gleichwertiger Teil der Gesellschaft sein. "Ich würde gerne wissen, ob Leute, die ihre Strafe verbüßt haben, frei sind oder nicht", sinnierte auch die serbische Premierministerin Ana Brnabić.

Doch es geht um mehr, schreibt das regierungskritische serbische Internetportal Peščanik: Mit einer symbolischen Geste wollen die Belgrader Politiker signalisieren, dass die Neunziger - eine Zeit der Kriege, der Hyperinflation und der Milošević-Autokratie - gar nicht so schlimm gewesen seien.  

Die Botschaft kommt an  

Viele der heutigen Machthaber in Serbien waren selbst am Milošević-Regime beteiligt, auch Präsident Aleksandar Vučić. Der frühere radikale Nationalist betreibt heute offiziell mit seiner Fortschrittspartei eine pro-europäische Politik, lässt aber Medien und Opposition unterdrücken und belohnt seine Parteiklientel mit Jobs im öffentlichen Sektor. Oder er verteilt eben Persilscheine an verurteilte Kriegsverbrecher.        

"Dass jemand seine Strafe verbüßt hat, macht ihn nicht weniger verantwortlich. Man muss Kriegsverbrecher moralisch verurteilen, indem die staatlichen Institutionen endlich damit aufhören, sie zu unterstützen", sagte Mitić im DW-Gespräch. "Sonst befürchte ich, dass solche Menschen wie Helden behandelt werden."   

Die nationalistische Botschaft kommt an: "Die Generäle haben nur ihr Land verteidigt", stand in Dutzenden von Leserkommentaren, die DW-Serbisch zu diesem Thema erreichten. Die serbische Gesellschaft scheint aus der exklusiven Opferrolle nie richtig herausgekommen zu sein. Heute gehört der Mythos über das kleine, tapfere Volk, das gegen die ganze Welt kämpfen musste, wieder zur Politik. 

Sonja Biserko
Sonja Biserko, Präsidentin des Helsinki Komitees für Menschenrechte in SerbienBild: DW/U. Sabljakovic

Das wundert Sonja Biserko nicht: Das Narrativ, nach dem Serbien nur ein Opfer des Krieges war, habe sich schon längst verfestigt, sagt die Präsidentin der serbischen Zweigstelle des Helsinki-Menschenrechtskomitees. "Das ganze Kosovo-Drama wird nur aus der Perspektive der angeblich irrationalen NATO-Intervention gegen Serbien erzählt. Über das Leid und die vielen Toten unter den Albanern spricht man nicht", sagt Biserko im DW-Gespräch. 

Allerdings ist die Lage bei den ehemaligen Kriegsgegnern nicht besser. Im Kosovo protestierten alle führenden Politiker gegen die Eröffnung eines neuen Tribunals, das endlich die Verbrechen der Kosovo-Befreiungsarmee (UČK) untersuchen soll. Sogar der kosovarische Präsident Hashim Thaçi könnte angeklagt werden. Die alten Feindschaften werden periodisch betont - und die politischen Eliten in Belgrad und Priština können sie zum eigenen Machterhalt nutzen.