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"Keine Terrorwelle zu erwarten"

Gero Schließ, Washington D.C.15. Januar 2015

Die Debatte über ausländische Kämpfer ist seit den blutigen Ereignissen in Paris voll entbrannt. Eine Studie der Washingtoner Brookings Institution sieht die Sicherheitskräfte gut gewappnet und warnt vor Überreaktionen.

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Polizisten in Paris (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Y. Boudlal

Deutsche Welle: Nach den Terroranschlägen in Frankreich fürchten viele Menschen, dass Europa und die USA von einer Welle des Terrors überzogen werden. Liefert Ihre Studie Belege dafür, dass diese Befürchtungen berechtigt sind?

Jeremy Shapiro: Ich hoffe nicht. Nach jedem Terroranschlag gibt es Ängste vor einer neuen Terrorwelle. Aber in Wirklichkeit passiert fast nie etwas Derartiges. Wir versuchen in unserer Studie klarzustellen: Auch wenn das Leben der Antiterror-Spezialisten durch die ausländischen Kämpfer in Syrien und im Irak komplizierter geworden ist, sind die USA und Europa doch gut vorbereitet. Wir dürften künftig mehr Mittel für die Sicherheitsdienste benötigen. Aber grundsätzlich wissen wir, wie mit dem Problem umzugehen ist.

Dennoch haben Sie Empfehlungen für die Politik formuliert. Was ist Ihnen da besonders wichtig?

Auf jeden Fall brauchen wir mehr Mittel. Allein schon die Größe des Problems und die schiere Zahl der ausländischen Kämpfer in Syrien und im Irak erfordert das. Wir brauchen mehr Überwachung und Aufklärung und das bindet viele Ressourcen. Zweitens sollten wir den lokalen Gemeinschaften erlauben, an diesen Problemen mitzuarbeiten. Diese Gemeinschaften sind sehr dagegen, ihre Leute in den "Heiligen Krieg" zu schicken. Sie sind viel glaubwürdiger als die Regierungen und besser darin, die Leute davon abzuhalten, Dummheiten zu begehen. Drittens müssen wir intensiv mit den Transitländern zusammenarbeiten, vor allem mit der Türkei. Anders als bei früheren Konflikten ist es diesmal viel einfacher, auf den Kampfplatz zu gelangen. Deswegen sind so viele Leute nach Syrien gegangen.

Und die Türkei ist ein Schlüsselstaat. Die Beziehungen zu diesem Land waren aber nicht immer erfreulich. Schließlich sollten wir behutsam mit den Kämpfern umgehen, die zurückkommen. Die große Mehrheit ist enttäuscht und ist nicht an Anschlägen in der Heimat interessiert. Diese Menschen umgehend zu kriminalisieren und sie ins Gefängnis zu werfen, ohne zu wissen, ob sie wirklich potentielle Terroristen sind, ist kontraproduktiv. Wir wissen, dass Gefängnisse effektivere Brutstätten für Radikalisierung sind als Konflikte in fernen Ländern.

Jeremy Shapiro (Foto: Brookings)
Jeremy Shapiro, Brookings InstitutionBild: The Brookings Institution

Wie sollten die Sicherheitsbehörden mit der schieren Masse an ausländischen Kämpfern umgehen? Muss die geheimdienstliche Überwachung massiv ausgeweitet werden, wie es der britische Premierminister David Cameron fordert?

Wir brauchen zwar mehr Überwachung, aber ich denke nicht, dass dies eine grundlegende Veränderung bedeutet. Was die Überwachung zur Zeit erschwert ist, dass die Informationen zur Zeit stark in den einzelnen Ländern verbleiben. Sie scheuen davor zurück, ihre Informationen wirklich weiterzugeben. Wenn mehr Länder die Informationen mit anderen teilen würden, käme allein das schon einer Ausweitung der Geheimdienstkapazitäten gleich.

Die Brookings-Studie stellt fest, dass es ein Leichtes ist, die Furcht vor ausländischen Kämpfern aufzubauschen. Gleichzeitig warnt sie vor Überreaktionen der Regierungen. Sehen Sie dafür seit den Anschlägen von Paris eine reale Gefahr?

Ja, ich denke das könnte gut passieren, auch wegen der heiklen Integrationsdebatte der Franzosen zur Zeit. Denken Sie an die Stärke der extremen Rechten, der Nationalen Front, und den Druck, den sie selbst auf moderate Politiker ausübt. Wir haben erste Anzeichen für Überreaktionen bereits in der Verlegung von Tausenden von Soldaten nach Paris gesehen. Auch in der Erklärung des französischen Premierministers, dass dies nicht nur ein Krieg gegen den Terror, sondern auch ein Krieg gegen den Islamismus sei. Als die Amerikaner diese Rhetorik nach den Anschlägen von 9/11 benutzten, haben gerade die Franzosen das aus gutem Grunde abgelehnt. Und nun sehen wir die gleiche Entwicklung in der französischen Politik.

Jeremy Shapiro ist außenpolitischer Experte der Washingtoner Brookings Institution mit dem Schwerpunkt Internationale Ordnung und Strategie. Gemeinsam mit Daniel L. Byman ist er Autor der Studie über die terroristische Bedrohung durch ausländische Kämpfer in Syrien und Irak.