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Sheriff statt Staatsmann

Rüdiger Lentz, Washington, D. C.12. November 2004

Die Schlacht ist geschlagen, der Sieger gekürt, der Verlierer von der Bühne abgetreten. Doch der politische Alltag will noch nicht recht einziehen im Amerika nach der Wahl, schreibt Rüdiger Lentz in seinem Kommentar.

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Rüdiger Lentz Studio Washington
Rüdiger LentzBild: DW

Zu viel stand auf dem Spiel, zu tief war und ist der Graben, der Republikaner von Demokraten trennt. Es ist wie nach einem schweren Sturm – eine gespenstische Stille hat sich über das Land gelegt und viele fragen sich: Was nun?

Denn dieses Land – gerühmt wegen seiner Toleranz und persönlichen Freiheiten und deshalb Vorbild vieler westlicher Demokratien - hat seinen politischen Standpunkt mit dieser Wahlentscheidung neu verortet: Mehr rechts, mehr religiös und – weiter denn je entfernt von Europa!

Machtfülle

Eindeutiger Gewinner dieses unerwartet klaren Wahlausgangs ist George W. Bush. Seit Franklin D. Roosevelt galt die Regel, dass wer ins Weisse Haus gewählt wird, gleichzeitig im Kongress verliert. Checks und Balances eben. Bush hat dieses politische Axiom das erste mal seit 60 Jahren wieder durchbrochen: Die Republikaner haben Ihren Vorsprung im Senat und im Repräsentantenhaus weiter ausbauen können. Eine Machtfülle, die er – wie bereits angekündigt – auch voll auszuspielen gedenkt.

Gewinnerin könnte auch Hillary Clinton sein. Sie wird schon jetzt – nach dem Wahldesaster von Kerry – als mögliche demokratische Präsidentschaftskandidatin für 2008 gehandelt.

Und ebenfalls gewonnen hat das US-Wahlsystem. Nach dem Wahldebakel von 2000 hat es diesmal überraschend schnelle und eindeutige Ergebnisse produziert. Das Nachsehen hatten nur die hunderte von europäischen Wahlbeobachtern und tausende von US-Anwälte, die sich auf wochenlange Rechtsauseinandersetzungen eingestellt hatten.

Verlierer Europa

Und Kerry? Er hat die Wahl gleich doppelt verloren. Für seine Partei, die jetzt begreifen muss, dass sie in diesem Amerika mit keinem demokratischen Kandidaten mit intellektuellem Anstrich, differenzierter Meinung und aus dem Nordosten stammend in den nächsten Wahlen jemals wieder eine Chance haben wird. Und: Kerry hat die Wahl auch für die mit verloren, die ihm einen Sieg am meisten gegönnt hätten - die Europäer. Auch wir sind die Verlierer dieser Wahl. Wir müssen mit erstaunten Augen feststellen, dass dieses Land doch sehr viel anders ist als wir es uns vorgestellt oder gewünscht haben.

Denn das Schwarz-Weiss-Denken der ersten Bush Administration ist durch diesen Wählerentscheid eindrucksvoll legitimiert worden. Die ersten vier Bush-Jahre waren eben doch kein „Betriebsunfall“ des amerikanischen Wahlsystems, sondern signalisierten eher das Heraufdämmern einer neuen, konservativen Revolution.

Das Reagan’sche Weltbild von Gut und Böse und vom politischen „shoot-out’, falls im Sicherheitsinteresse Amerikas, feiert seine Wiederauferstehung. Bush und sein Architekt des Wahlerfolges, Carl Rove, haben den Zustand der amerikanischen Befindlichkeit nach 9/11 richtig analysiert und für ihre Zwecke rigoros nutzbar gemacht. Diese grobe Mischung aus „Gung ho“ Mentalität, tiefer Religiosität, einem einfachen aber geschlossenen Weltbild und einer gehörigen Portion Antiintellektualismus haben Goerge W. Bush zum Wahlsieg verholfen.

Grabenkämpfe

Nur in einem einzigen Punkt hat sich Amerika den europäischen Verhältnissen angenähert: In der Ideologisierung der Parteienlandschaft und dem Grabenkrieg des Wahlkampfes. Denn bisher waren die US-Parteien allenfalls lose organisierte Präsidentenwahlvereine. Auf nationaler Ebene hatten sie häufig kaum unterscheidbare Konturen. Anders im Wahlkampf 2004. Fast hatte man den Eindruck Europas ideologische Wahlkämpfe der siebziger und achtziger Jahre zwischen Konservativen und Sozialisten hätten sich in den USA wiederholt.

Das Ergebnis: Ein Land mit zwei politischen Kulturen, zwei Gesellschaftssystemen, deren Überlappungen immer geringer, deren Abgrenzungen immer schärfer werden. Wie in einem Sandwich eingeklemmt zwischen den demokratischen „Blue States“ des Ostens und der Westküste der USA liegt das blutrote, republikanische „Heartland“ Amerikas. Im tiefen Süden und im mittleren Westen wurde die Wahl entschieden und dort wird sie aller Voraussicht nach auch in Zukunft entschieden werden.

Amerika hat amerikanisch gewählt. Es hat sich für den Sheriff und gegen den Staatsmann entschieden. Es war eben nicht „the economy, stupid“ – es war auch nicht allein der Irak und die Wagenburgmentalität einer im Krieg befindlichen Nation. Nicht die TV-Debatten, sondern die Werte, die Moral und die höhere Glaubwürdigkeit von George W. Bush haben den Ausschlag gegeben.

Rüdiger Lentz ist der künftige Studioleiter der Deutschen Welle in Washington.