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Shit happens: Verdauung als Kunst

André Moeller5. September 2003

"In einer Zeit, in der es Wissenschaftler als ihre Aufgabe betrachten, den Menschen zu klonen, ist es die Aufgabe der Kunst, den menschlichen Verdauungsapparat nachzuahmen", glaubt der belgische Künstler Wim Delvoye.

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Meister Proper bewirbt Kunst-KotBild: presse

Ein weit verbreitetes Vorurteil gegen zeitgenössische Künstler lautet sinngemäß, ihre Kunst sei schwer zu verdauen. Das ist ein Vorwurf, der zumindest einem zeitgenössischen Kunstwerk sicherlich nicht gerecht wird. Denn im Falle von "Cloaca" geht es um (fast) nichts anderes als Verdauung. Der belgische Künstler Wim Delvoye hat eine mechanische Nachbildung des menschlichen Verdauungsapparats geschaffen. Die Apparatur, die ihren sprechenden Namen von den Abwasserkanälen im antiken Rom bezieht, war mittlerweile in zahlreichen Metropolen der Welt zu besichtigen, darunter New York, Antwerpen, Zürich, Wien und zuletzt Lyon.

Kunst, Kot und Kohle

Cloaca
"Cloaca" im Museum Kunst Palast in DüsseldorfBild: Wim Delvoye

"Cloaca" wird über einen großen Trichter täglich mit erstklassigen Menüs gefüttert - je nach Ausstellungsort kommen diese aus dem jeweiligen Museumsrestaurant oder auch aus Restaurants der Umgebung. Am Wochenende steht sogar Gourmetküche auf dem Programm. An den Wänden des Ausstellungsraums werden durch Speisekarten nicht nur die Menüfolgen detailliert dokumentiert, sondern es ist auch zu erfahren, aus wessen Küche das jeweilige Mahl stammt.

Cloaca - Konstruktionszeichnung
Konstruktionszeichnung von Wim DelvoyeBild: Wim Delvoye

Eine zwölf Meter lange Maschinenstraße mit laborähnlichen Apparaturen und Behältern, legt nun das offen, was unser Körper sonst ohne viel Aufsehen im Verborgenen erledigt: Nahrung zerkleinern und mixen, Enzyme und Verdauungssäfte zufügen, den Nahrungsbrei liegen lassen, Wasser entziehen und den Rest in Kot verwandeln. In sechs gläsernen "Bioreaktoren" sind neben verschiedenen Säuren rund 400 verschiedene Bakterienstämme für die Kunst im Einsatz.

Am Schluss der Prozedur fällt das Produkt auf ein Fließband, fertig ist das Kunstwerk. Nun können es selbst Chemiker nicht mehr von dem unterscheiden, was der Mensch Tag für Tag absondert. Doch die eigentliche Kunst besteht darin, im Wortsinn aus "Scheiße" Geld zu machen. Durch eine stabile Silikonhülle in ein handliches Format gebracht, ist der geklonte Kot für schlappe 1500 Dollar käuflich zu erwerben.

Eigenes Produkt-Logo

Wim Delovoye Cloaca.be Flashanimation Ausschnitt Cloaca Logo
Cloaca-LogoBild: presse

Um seine Verdauungs-Maschine und ihre Produkte professionell anpreisen zu können, hat Delvoye ein eigenes "Cloaca-Logo" entwickelt, das eine Mischung aus den Logos der Marken Meister Proper, Coca-Cola und Ford zusammengebastelt ist und einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Meister Proper, der in diesem Fall nur aus Oberkörper und Darm besteht, stützt mit gewohnt freundlichem Lächeln seine muskulösen Arme auf ein blaues Oval mit dem Schriftzug "Cloaca".

Cloaca
Cloaca - Werbelogo, Tusche auf Papier, 2003 by Wim DelvoyeBild: Wim Delvoye

Genau dieser Meister Proper ist auf der Website zum Kunstwerk (cloaca.be) als Flashanimation zum Leben erwacht und lädt die Fans von anal produzierten Kunstwerken mit den Worten "Buy Cloaca Shit now!" zum Kauf ein. Offensichtlich mit Erfolg: "Sold out", lautet im Shopping-Bereich der Website die Botschaft an die Fans.

"Die Schönheit des Nutzlosen"

"Cloaca" dürfte nicht nur das wichtigste, sondern auch das aufwändigste Werk Delvoyes sein. Für die Umsetzung war ein ganzes Team von Experten notwendig: Ärzte, Ingenieure, Bakteriologen und ein Fabrikant von Babynahrung haben an der Konstruktion des computergesteuerten Kunstwerks mitgewirkt, das allein während seiner Herstellung rund 260.000 Euro "verdaut" hat. Das ist ohne Zweifel eine Menge Geld, nur um "die Schönheit des Nutzlosen" zu demonstrieren, wie Delvoye sein Anliegen beschrieben hat.

Wim Delvoye ist nicht der erste Künstler, der menschliche Ausscheidungen aller Art in den Mittelpunkt seiner Kunst stellt. So füllte schon in Jahr 1961 der italienische Künstler Piero Manzini "Merda d’Artista" in Konservendosen, um sie willigen Kunstliebhabern feilzubieten. Doch in diesem Fall steht nicht (nur) das Produkt, sondern auch dessen Produktion im Zentrum des künstlerischen Interesses.

Delvoyes Maschine kann auch als kritische Wissenschafts-Reflexion verstanden werden. Dort, wo der Wissenschaftler versucht, die Natur nachzuahmen und Lebewesen zu klonen, kann es offenbar Aufgabe des Künstlers sein, derartige Unterfangen kritisch zu begleiten. Delvoye stellt nicht nur die Machbarkeit solcher Vorgänge zur Diskussion, sondern auch deren Legitimation. Er stößt damit eine Diskussion an, die nicht umhin kommt, ethische Fragen zu thematisieren.