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Precious Life

4. November 2010

Der israelische Filmemacher erzählt in seinem Film "Precious Life" die Geschichte eines Kindes aus dem Gazastreifen, das dringend eine Knochenmarkspende braucht. Ausgerechnet ein Israeli stellt das Geld zur Verfügung.

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Shlomi Eldar (Foto: DW)
Shlomi Eldar - israelischer Fernsehjournalist, Buchautor und DokumentarfilmerBild: DW/B.Marx

Seit vier Jahren war der israelische Journalist Shlomi Eldar nicht mehr in Gaza. Nach dem Wahlsieg der Hamas machte Israel im Herbst 2006 die Grenze zu. Aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Seither dürfen israelische Journalisten nicht mehr in den Küstenstreifen, um von dort zu berichten.

Das Leben jenseits der Grenze

Eldar versteht das Verbot. Auch er glaubt, dass israelische Journalisten zurzeit nicht unbehindert und frei aus Gaza berichten könnten. Dennoch würde er gerne zurück nach Gaza. "Ja, ich sehne mich sehr nach Gaza. Ich finde es schade, dass Palästinenser nicht nach Israel reisen können und Israelis nicht nach Gaza", sagt er bei einem Besuch in Deutschland.

Jahrelang habe er als Fernsehjournalist und Dokumentarfilmer versucht, den Zuschauern in Israel ein umfassendes und wahres Bild von Gaza zu übermitteln. Dabei sei es ihm vor allem darum gegangen, das Leben der einfachen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. "Ich wollte zeigen, dass es jenseits der Grenze Menschen gibt, die leben wollen, die ihre Kinder großziehen wollen, die sich in Würde ernähren wollen, die heiraten wollen, lieben, hassen, sich freuen und sich erinnern, einfach leben."

Als israelischer Journalist im Gazastreifen

Shlomi Eldar ist der vielleicht beste israelische Kenner des Gazastreifens. Seit den neunziger Jahren arbeitet er beim Fernsehen - früher beim staatlichen Sender, heute beim kommerziellen Kanal 10. Von Anfang an interessierte er sich vor allem für die palästinensischen Gebiete. "Ich habe Orientwissenschaft studiert und habe meine Masterarbeit über die Hamas geschrieben", erklärt Eldar und fügt hinzu: "Vielleicht werde ich über dieses Thema auch noch promovieren."

Eldars Eltern stammen aus dem Irak, wo es bis zum israelischen Unabhängigkeitskrieg eine der bedeutendsten jüdischen Gemeinden in der arabischen Welt gab. Zuhause wurde Arabisch gesprochen, aber den Dialekt der Palästinenser lernte Eldar erst bei der Arbeit in Gaza. Für ihn war der schmale und arme Küstenstreifen mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern die "aufregendste Region, in der ein Journalist arbeiten kann".

Jahrelang Korrespondent

Jahrelang berichtete er von dort über das Schicksal der Zivilbevölkerung, über die Politik der palästinensischen Fraktionen, über Gewalt und Krieg. Sein Gesicht war den meisten israelischen Fernsehzuschauern wohl vertraut. Fast jeden Abend war er auf dem Bildschirm.

Seit er nicht mehr in den Gazastreifen kann, gibt es für ihn nur noch wenige Brücken zu seinem früheren Leben als Gaza-Korrespondent. Eine davon ist das Krankenhaus Tel Hashomer bei Tel Aviv, in dem auch palästinensische Patienten aus Gaza behandelt werden. Hier beginnt sein Dokumentarfilm "Precious Life" - Wertvolles Leben.

Das wertvolle Leben des Muhammad

Raida trägt Mundschutz und ihren Sohn auf dem Arm im Krankenhaus (Foto: DOK Leipzig)
Raida kämpft um das Leben ihres SohnesBild: DOK Leipzig

Es ist die Geschichte des kleinen Muhammad Abu Mustafa und seiner Mutter Raida. Im März 2008 kommen die beiden aus Gaza ins Tel Hashomer-Krankenhaus. Zu diesem Zeitpunkt ist der Gazastreifen hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Nur wenigen Todkranken gelingt es, ihr Gefängnis zu verlassen, um sich in Israel, Jordanien oder Ägypten behandeln zu lassen.

Für Raida ist es die erste Begegnung mit Israel und mit Israelis. Ihr kleiner Sohn Muhammad leidet an einem genetischen Defekt, an dem schon zwei seiner Schwestern gestorben sind. Nur eine Rückenmarkstransplantation im Tel Hashomer-Krankenhaus kann sein Leben retten. Doch es fehlt das Geld.

Der behandelnde Kinderarzt Dr. Raz Somech hofft, durch einen Fernsehbericht auf das Schicksal des Babys aufmerksam zu machen und Spenden einsammeln zu können. Und in der Tat, noch am gleichen Abend, als der Filmbeitrag ausgestrahlt wurde, meldet sich ein anonymer israelischer Spender, der die gesamten Kosten der Behandlung tragen will: 55.000 Dollar. Er selbst ist Vater eines gefallenen Soldaten, der mit dieser Spende zur Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern beitragen will.

Konflikte zwischen Raida und Eldar

Im Zentrum des Films aber steht nicht nur der dramatische Kampf um das Leben des Kindes, sondern auch die bittere Auseinandersetzung zwischen dem Israeli Eldar und Raida, der palästinensischen Mutter des Babys. Sie schildert dem Journalisten ihre Sicht auf das Leben, wie sie es in Gaza kennen gelernt hat. "Für uns in Gaza ist das Leben nicht wertvoll", sagt sie. "Wir haben das Gefühl, dass das Leben gar nichts ist. Deswegen haben wir Selbstmordattentäter. Sie haben keine Angst zu sterben. Wir alle fürchten den Tod nicht. Er ist natürlich für uns."

Raida ist sogar bereit, ihren eigenen Sohn, um dessen Leben sie so erbittert kämpft, als Märtyrer für die Befreiung Jerusalems zu opfern. Eldar ist entsetzt und will den Dreh abbrechen. Er kann die junge Frau nicht verstehen und wirft sich selbst vor, mit seinem Film die Grenzen des Journalismus überschritten zu haben. Erst nach einem langen schmerzhaften Gespräch mit Raida und ihrem Mann versteht er ihre Notlage: Das Paar wird in Gaza verdächtigt, für die Behandlung ihres Sohnes mit dem israelischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Im Internet wird Raida beschimpft, weil sie in Israel Hilfe für ihren Sohn erbittet. "Warum habe ich Raida nicht verstanden? Warum habe ich sie so in die Enge getrieben?", fragt Eldar selbstkritisch und zerknirscht.

Entfernte Lebenswelten

Es sind schmerzliche Szenen, die den Graben zwischen der Palästinenserin und dem Israeli zeigen, die deutlich machen, wie weit ihre Lebenswelten voneinander entfernt sind, wie wenig sie einander verstehen. Der Film dokumentiert diese vielschichtige Beziehung zwischen Israelis und Palästinensern, das Netz von Abhängigkeiten und Vorurteilen, von Missverständnissen und unüberbrückbar unterschiedlichen Erfahrungen. Ohne dass er die politischen Hintergründe analysiert, zeigt er einen Ausschnitt aus der widersprüchlichen und absurden Lebenswirklichkeit des Nahen Ostens und über die Schwierigkeiten von Israelis und Palästinensern, zusammenzufinden. In Israel wurde er dafür mit dem renommierten Ophir-Preis ausgezeichnet.

Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Diana Hodali