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Sichrovskys jüdische Karte

7. Februar 2002

- Die jüdische Thematik ist nur ein Teil der FPÖ-Kampagne gegen Tschechien

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Prag, 7.2.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Tomas Kraus

Peter Sichrovsky, der die Tschechische Republik zur Neubewertung der Folgen der rassistischen Verfolgung während des Krieges und der Entschädigung seiner Opfer aufgefordert hat, ist eine höchst widersprüchliche Gestalt. Anfang der 90er Jahre glänzte er als Journalist und Schriftsteller. Sein Buch, das die Schicksale der Nachkommen der Nazi-Machthaber beschrieb, erhielt gute Kritiken. Es wurde in mehrere Sprachen übersetzt, seine englische Ausgabe begleitete eine erfolgreiche Tournee durch die Vereinigten Staaten. Die Menschen, die während dieser Zeit mit ihm in Kontakt kamen, würdigten seine Offenheit, seine scharfsinnigen Schlüsse, seine Schlagfertigkeit und seinen Witz.

Wie verblüfft waren aber alle, als Peter Sichrovsky für die FPÖ zur Europawahl kandidierte - und gewählt wurde. Das war aber nur der Anfang. Seine Ernennung zum Generalsekretär der FPÖ war ein Meisterzug des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider und führte ihn in die hohe Politik, besonders nach der Bildung der gegenwärtigen österreichischen Regierung.

Gleichzeitig aber verlor Sichrovsky jeglichen Kredit bei seinen bisherigen Freunden. Als erstes hat sich seine Muttergemeinde, die jüdische Gemeinde in Wien, scharf von ihm distanziert. Wie kann sich ein jüdischer Intellektueller in den Dienst einer Partei stellen, die sich dank der Aussprüche ihres Vorsitzenden das Etikett "rechtsextrem" verdient hat? Er kann, und nicht nur das, er kann auch deren Sprachrohr werden.

Sichrovsky behauptet, dass die Juden aus der Tschechoslowakei "mit tatkräftiger Unterstützung der hiesigen Bevölkerung" deportiert wurden. Historiker können das durchgängig klar widerlegen. Es hat sich eher um stille Zustimmung zu diesem Teil der Okkupationspolitik seitens der Tschechen gehandelt.

Der Verlauf der Restitution nach dem Krieg ist sicher kein Ruhmesblatt. Man muss das aber in dem Kontext der Zeit sehen, also der einsetzenden ersten Welle der Verstaatlichung. Wenn also Sichrovsky am Ende die persönlichen Erfahrungen seiner Familie (seine Mutter kommt aus Prag, letztlich aus der Familie von Franz Kafka) zum Besten gibt, hat er sich das nicht ausgedacht.

Wie aber kann man das Unrecht, welches das kommunistische Regime an einigen Opfern des Holocaustes verübt hat, mit dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union in Verbindung bringen? Wie kann Sichrovsky die tschechische Regierung tadelnd zur Schaffung einer Historikerkommission auffordern, wenn hier eine solche Kommission längst arbeitet und eine ganze Reihe von Ergebnissen vorweisen kann, die im europäischen Maßstab einzigartig sind?

Wie kann Sichrovsky eine "Interessenvereinigung der jüdischen Minderheit" auffordern, "dass sie ihre Dienste den Opfern des Nazismus und ihren Verwandten gewährleisten" soll, wenn die Föderation der jüdischen Gemeinden genau das - selbst oder mittels weiterer Institutionen - schon jahrelang tut? Ist es einfach pure Realitätsflucht? Möglich.

Die jüdische Thematik könnte nach Temelin und den Benes-Dekreten aber auch nur ein weiterer Schritt in der Kampagne der FPÖ sein. Und gerade deshalb sind alle Aussprüche Sichrovskys nachdrücklich abzulehnen. Man sollte aber nicht auf sein Spiel eingehen. Man muss sich einfach damit zufrieden geben, dass der Restitutionsprozess in den böhmischen Ländern eine verwickelte und langfristige Angelegenheit ist. Aber man muss sich nicht fürchten - zu dem Zeitpunkt, an dem Tschechien in die Europäische Union eintreten wird, wird die Angelegenheit sicherlich erledigt sein. (ykk)

Der Autor ist Geschäftsführer der jüdischen Gemeinden in Tschechien.