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"Siehst Du was, wenn Du träumst?"

Florian Blaschke6. Juli 2006

Eigentlich möchte der 14-jährige Lukas sein Leben endlich selbst in die Hand nehmen, weg von den Eltern und die Großstadt entdecken. Doch dann tritt die blinde, drei Jahre ältere Sonja in sein Leben.

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Für Sonja und Lukas ist das ein Sonnenuntergang, den man "schmecken" kannBild: Fabian Rösler

"Ich komm' heute Nacht nicht nach Hause. Und morgen auch nicht." Das ist alles, was Lukas (Leo Zirner) seinen Eltern mitteilt. Er hat sein Leben satt, seine Eltern, zu denen er eigentlich gar kein Verhältnis mehr hat, seinen Großvater, dem nichts anderes mehr einfällt, als ihm zum Geburtstag Geld zu schenken und seine Mitschülern, die ihn ständig hänseln, weil er eine unsterbliche Vorliebe für "Warten auf Godot" hat. Also macht er sich selbst ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk und büchst aus, für drei Tage. Einfach mal rauskommen, die Großstadt kennen lernen, Abenteuer erleben. Und vor allem: eigene Entscheidungen treffen - das ist es, was er sich am Sehnlichsten wünscht.

Filmszene Wie Licht schmeckt
Lukas ist frustriert von seinem Leben und beschließt, abzuhauen. Für drei Tage raus in die GroßstadtBild: Fabian Rösler

Doch dann trifft er auf seiner kleinen Reise nicht nur das Berliner Aussteiger-Pärchen Lizzy und Ringo (Lucie Muhr und Carlo Ljubek), sondern auch die drei Jahre ältere Sonja (Anya Deubel). Sonja ist blind und verändert nicht nur seinen geplanten Drei-Tages-Trip, sondern auch sein ganzes Leben. Denn wie sollte es anders kommen, Lukas verliebt sich in das hübsche Mädchen. Trotz oder gerade wegen ihrer Blindheit ist sie schlagfertig und selbstbewusst, verführerisch und ein wenig aufmüpfig. Genau das, was Lukas gesucht hat, doch schon bald muss er feststellen, dass er mit all dem noch überhaupt nicht umgehen kann.

Schnuppern am Aussteigerleben

Bis dahin aber zeigt ihm Sonja ihre Stadt. Eine Stadt jenseits des Sehens, eine Stadt der kleinen Erlebnisse und Eindrücke, eine Stadt des Lichts. Denn keineswegs bedeutet blind sein für sie, nichts wahrzunehmen. Erstaunt stellt Lukas fest, dass Sonja ihre Freundin Vanessa daran erkennen kann, wie sie die Tür öffnet und dass sie sofort merkt, wenn er sie anstarrt. Das blinde Mädchen öffnet ihm, dem sehenden Jungen die Augen für das Leben und für seine Phantasie. All seine Hoffnungen und Ängste bündelt er in einem Satz: "Wenn Du träumst, siehst Du dann eigentlich was?"

Filmszene Wie Licht schmeckt
Einmal machen, was auch die Erwachsenen machen. Davon träumt LukasBild: Fabian Rösler

Lukas kleines Abenteuer wird für ihn vor allem ein Abenteuer des ersten Verliebens. Regisseur Maurus vom Scheidt schickt ihn mitten hinein in die Pubertät, in die ersten Krisen mit den Eltern und die eigene Unsicherheit. Lukas schnuppert ein wenig am Aussteigerleben und an der großen, weiten Welt und erlebt mit Sonja seine erste Romanze. Da die Mädchen ihn bisher immer sterbenslangweilig fanden, will er ihr beweisen, wie viel sie ihm bedeutet. Also beschließt Lukas, ihr den allerschönsten Sonnentergang der Stadt zu zeigen – einen Sonnenuntergang, der so wunderbar ist, dass man sein Licht sogar richtig "schmecken" kann.

München in gleißendem Licht

"Wie Licht schmeckt" ist ein durchaus typischer deutscher Gegenwartsfilm. Wie auch "Liegen lernen" oder "Was nützt die Liebe in Gedanken" verkörpert er das, was in früheren Jahrhunderten der Entwicklungsroman war. Geschichten von Liebe und Heranwachsen, Enttäuschung und harter Realitätserfahrung. Maurus vom Scheidt gelingt es jedoch durch die wunderschöne Arbeit von Kameramann Bogumil Godfrejow, auch beim Zuschauer alle Sinne zu öffnen.

Filmszene Wie Licht schmeckt
Vanessa, Lukas und Sonja - eine Dreierclique, die der Zufall zusammenführtBild: Fabian Rösler

Weiche, langsame Bilder, ein stetiger Wechsel zwischen Halbschatten und gleißendem Licht machen aus dem München von Lukas und Sonja eine verträumte, unwirkliche Stadt. Aus dem gleichnamigen Jugendroman von Friedrich Ani macht Maurus vom Scheidt ein leises, poetisches Märchen, sensibel erzählt und durchweg glaubwürdig gespielt. Dass es trotz aller Realitätsnähe mit der platten Gegenwart so gar nichts zu tun haben will, das ist das große Verdienst dieses Films.