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Bargeldlos ins Jahr des Affen

Sieren, Frank11. Februar 2016

Immer mehr Chinesen verschenken Neujahrsgeld digital und nicht mehr im roten Umschlag. Das gilt als so cool, dass selbst die Kommunistische Partei mitmacht, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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China Neujahr Rote Umschläge mit Geldscheinen als Geschenk
Bild: Getty Images/AFP/M. Clarke

Der Höhepunkt eines jeden chinesischen Neujahrsessens im Kreise der Familie endet immer mit der Überreichung der roten Umschläge – „Hongbao“ genannt. Sie sind gefüllt mit neuen Banknoten. Auch dieses Jahr. Am 8. Februar hat das Jahr des Affen begonnen. Hongbao haben eine lange Tradition. Schon in der Qin Dynastie (221-206 v. Chr.) wurden sie vor allem an Kinder verschenkt, um böse Geister von ihnen abzuwehren. Dieses Jahr wird noch bis Mitte Februar Neujahr gefeiert. Und kein Chinese kann sich in seiner Heimat bei der Familie ohne diese roten Couverts blicken lassen. Denn nicht nur Kinder bekommen Geldgeschenke in Form von Hongbao, auch ältere Verwandte.

Es ist aber nicht nur unter Verwandten Brauch, sich Hongbao zu geben, sondern auch unter Freunden und in Unternehmen, in denen Angestellte meist ihren Jahresbonus in roten Umschlägen bekommen. Inzwischen müssen Chinesen ihre Verwandten oder Mitarbeiter dazu nicht mehr persönlich treffen. Das gilt nicht als gedankenlos, sondern als sehr cool. Selbst die Kommunistische Partei macht das inzwischen so, um sich bei ihren Mitgliedern beliebter zu machen. In diesem Jahr wurden erstmals 300.000 Yuan (umgerechnet 41.000 Euro) in drei Tagen, kurz vor dem chinesischen Neujahr über die Messenger-App WeChat mit dem Kontonamen "Mitglieder der Kommunistischen Partei" an die Mitglieder verteilt.

Frank Sieren
DW-Kolumnist Frank Sieren Foto: Marc TirlBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Redeauszüge von Präsident Xi als Passwort

WeChat-Nutzer mussten, um an die Geldgeschenke der Partei zu kommen, politisch zumindest so weit gebildet sein, die Reden von Staats- und Parteichef Xi Jinping rezitieren zu können. Denn um die virtuellen roten Umschläge öffnen zu können, mussten teilweise Redewendungen, die Xi in seiner Neujahrsansprache benutzt hatte, als Passwörter eingegeben werden. Mehr als 100.000 virtuelle Nutzer hatten die Nachricht gelesen. Und über 10.000 Nutzer haben sie sogar "geliket". Soll das Projekt Erfolg haben, müsste Peking mindestens jedes zweite der 80 Millionen Parteimitglieder erreichen. Wahrscheinlich war es diesmal nur ein Versuch, der kommendes Jahr ausgeweitet wird.

Die Möglichkeit gibt es ja noch nicht so lange. Erst vor zwei Jahren wurde die App von Tencent, einem der führenden chinesischen Internetkonzerne, kreiert. Die Möglichkeit, virtuell Geld zu verschenken, wird aus zwei Gründen immer beliebter: Zum einem, weil sie einfach zu bedienen ist, zum anderen wegen des spielerischen Ansatzes. Der Schenkende kann einen Betrag festlegen, der zwischen einer Gruppe von Menschen aufgeteilt wird. Der, der am schnellsten aus der Gruppe einen Umschlag öffnet, erhält den höchsten Betrag. Der, der langsamer ist, bekommt weniger. So kann es schon mal sein, dass der Schnellste 50 Yuan bekommt, während die anderen nur noch 10 oder 5 Yuan kriegen.

Digitale "rote Umschläge" im Milliardenwert

Ein wenig Glücksspiel scheint aber nicht nur in China beliebt zu sein. Auch am New Yorker Times Square konnten WeChat-Nutzer durch das Schütteln ihrer Smartphones vor großen Werbetafeln, auf denen Tencent Werbung geschaltet hatte, zu bestimmten Zeiten digitale Hongbao gewinnen. Das elektronisch verschickte Geld wird immer beliebter. Und Wechat liegt weit vor seinem größten Konkurrenten Alipay – dem Paypal Chinas – mit 400 Millionen Nutzern. Damit der Abstand nicht noch größer wird, hat sich die Partei entschlossen, ihre Hongbao über Alipay abzuwickeln. Gleichzeitig durfte Alipay eine Partnerschaft mit dem staatlichen Fernsehsender China Central Television (CCTV) eingehen, um bei der Übertragung der Neujahrsgala rote Umschläge im Wert von 800 Millionen Yuan (109 Millionen Euro) an die Zuschauer zu verlosen.

Die Neujahrsgala ist jährlich die chinesische Fernsehsendung mit den meisten Zuschauern. Chinas Internetfirmen erwarten, dass in den kommenden Tagen Nutzer noch e-Hongbao im Wert von bis zu 10 Milliarden Yuan (1,36 Milliarden Euro) ausgeben werden. Der WeChat-Hongbao ist für Tencent nicht nur eine Art, neue Nutzer für seinen Online-Bezahldienst zu werben, sondern auch um sich durch die direkte Verlinkung zu den Bankkonten der Nutzer mehr Anteile in Chinas rasant wachsendem mobilen Bezahlsystem zu ergattern. Der Regierung ist das Recht. Denn das Hongbao-System ist ein gigantisches privates Sozialprogramm: Das meiste Geld wandert von Reicheren zu Ärmeren. Von den Küsten ins westliche Hinterland.

Unser Korrespondent Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.