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Frank Sieren10. Juni 2015

In Peking gilt seit Anfang Juni ein neues Rauchverbot. Ein riskanter Modellversuch der Regierung, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Bild: picture-alliance/epa/R. de la Pena

Die Regierung setzte ein klares Zeichen: Große Nichtraucher-Banner prangen seit Anfang Juni am berühmten Vogelnest, dem olympischen Stadion Pekings. Zum Auftakt des neuen Rauchverbots in der Hauptstadt kamen Frauen dort zusammen und sangen Lieder gegen das Rauchen. Seit dem ersten Juni darf fortan in Büros, Einkaufshäusern, Restaurants, Bars und Flughäfen nicht mehr gequalmt werden. Auch auf vielen öffentlichen Plätzen, in Kindergärten und in Krankenhäusern sind Zigaretten künftig strikt untersagt. Die Regierung fühlt sich in diesen Zeiten offenbar stark genug, eine so unpopuläre Maßnahme durchzusetzen.

Unpopulär, weil es – anders als in Deutschland – keine breite Masse an Menschen gibt, die sich von Rauchern belästigt fühlt. Im Gegenteil. Frühere Versuche, Rauchverbote durchzusetzen, sind gescheitert. Vielerorts stehen in Peking schon seit einiger Zeit Schilder, die das Rauchen verbieten. Doch häufig steht daneben ein Mülleimer mit Aschenbecher. Bisher wurde mit dem Rauchverbot in China so umgegangen wie mit so vielen anderen Verboten: Hier darf nicht geangelt werden? Dann angele ich hier erst recht. Auf dieser Seite der Straße darf ich nicht fahren? Dann bin ich hier genau richtig! Denn jeder weißt, dass Regeln sich auch umgehen lassen.

Wenig Bereitschaft, Rauchen aufzugeben

Die Bereitschaft der breiten Masse, das Rauchen aufzugeben, ist noch nicht da. Also versucht es die Regierung jetzt mit härteren Strafen. Verstöße werden nun mit Bußgeldern bis zu 200 Yuan (knapp 30 Euro) geahndet. Und um sicherzugehen, dass das Verbot auch eingehalten wird, sollen 1.000 Inspektoren in der Stadt unterwegs sein. Das Gesundheitsministerium hat außerdem eine Hotline eingerichtet, bei der Bürger Unternehmen anschwärzen können, die sich nicht an das neue Verbot halten. Deren Strafen sollen mit 10.000 Yuan (knapp 1500 Euro) dafür sorgen, dass öffentliche Firmen und Institutionen mitmachen. Und neben der obligatorischen TV-Werbung auf dem Staatssender CCTV gibt es jetzt sogar einen offiziellen WeChat-Account, der die Pekinger anhält, Raucher an den Pranger zu stellen, indem sie sie fotografieren und die Fotos oder Videos hochladen.

Der Regierung ist das neue Rauchverbot sehr wichtig: Qualmen die Chinesen weiter wie bisher, treibt das die Gesundheitskosten des Landes in unbezahlbare Höhen. Jährlich sterben schon jetzt mehr als eine Million Chinesen an den Folgen des Rauchens. Ein Drittel aller Lungenkrebspatienten weltweit kommt aus China. Bei über 300 Millionen Rauchern im Land kommt nun trotzdem noch viel Arbeit auf die Regierung zu. 2012 steckten sich noch die Hälfte aller Männer täglich eine Zigarette an. Bei den Frauen waren es vergangenes Jahr immerhin nur 3,3 Prozent. Allerdings wuchs die Zahl der rauchenden Frauen in den letzten Jahren stetig, während insgesamt ein negativer Trend zu beobachten ist. 2014 waren insgesamt 21,7 Prozent der chinesischen Bevölkerung Raucher. Im weltweiten Vergleich hieß das, mehr als jede dritte Zigarette wurde in China angezündet.

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DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Erfolg der Kampagne noch nicht absehbar

Da braucht es nicht zu verwundern, dass Xi Jinping sich nicht nur die Bekämpfung der Korruption und des Smogs auf seine Fahne geschrieben hat, sondern eben auch des Rauchens. Wie erfolgreich die neue Kampagne sein wird, wird sich allerdings erst zeigen, wenn es darum geht, das Verbot auf Landesebene auszuweiten. Was als Pilotprojekt in Peking vielleicht noch klappen mag, stößt auf dem Land auf Gegenwehr. Dort haben die Bauern das Gefühl, dass die Politiker das Hinterland wirtschaftlich vernachlässigt haben und ihnen jetzt auch noch die Zigaretten wegnehmen. Das könnte sie auf die Barrikaden treiben.

Die Zigarettenindustrie wäre ein mächtiger Verbündeter. Allein China National Tobacco stellt jede dritte Zigarette im Land her. Die Zahl der mit der Industrie verbundenen Arbeitsplätze ist entsprechend hoch. 3,6 Millionen Farmer, vier Millionen Einzelhändler und noch eine halbe Million weitere mit der Produktion verbundene Angestellte leben von Zigaretten. Ihre Lobbyisten sind sehr stark. 2013 erwirtschaftete die staatliche Tabakindustrie 956 Milliarden Yuan (140 Milliarden) Euro an Steuern und Gewinnen für die chinesische Haushaltskasse. Die Tabakindustrie wird sich diesen Batzen Geld nur im äußersten Notfall wegnehmen lassen.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.