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Klagen auf hohem Niveau

Frank Sieren19. Juni 2015

Europäische Firmen sehen die neuen und schwierigeren Zeiten in China gelassener als man auf den ersten Blick denkt. Der Grund: Anderswo ist es noch schlimmer, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Sandsturm in Peking (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Kim Kyung-Hoon

Wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, müsste eigentlich derzeit an Chinas Grenzen stehen. Da das nicht geht, wird der umfassendste Umbau seit Jahrzehnten im laufenden Betrieb durchgeführt. Das bekommen auch europäische Unternehmen in China zu spüren, wie jüngst eine Umfrage der EU-Handelskammer unter knapp 550 Unternehmen ergab. Die Stimmung ist "sehr viel pessimistischer" als in den Vorjahren. "Das Wirtschaftswachstum in China geht runter, aber die Kosten gehen hoch", fasst Jörg Wuttke, der Präsident der EU-Kammer in China, die Lage nüchtern zusammen.

Schaut man allerdings genauer hin, ist es nicht ganz so dramatisch. Zwar klagen die Unternehmen über sinkende Gewinne, allerdings ist das Klagen auf hohem Niveau. Denn anderswo steht es um den Profit weitaus schlechter: Zwei Drittel der Firmen verdienen in China immer noch mehr als in anderen Regionen. Nur sechs Prozent der Firmen denken deshalb überhaupt darüber nach abzuwandern. Wohin auch? Russland ist wirtschaftlich in ernsten Schwierigkeiten. Südamerika wächst dieses Jahr bisher nur um 0,4 Prozent. Die brasilianische Wirtschaft steckt in einer Rezession. Argentinien steht am Rande der Staatspleite.

Keine Alternative zu China

Indien boomt, ist aber ein sehr rückständiger und schwieriger Markt. Das Gleiche gilt für Afrika. Und bei den asiatischen Nachbarn Chinas ist die Lage auch nur heiter bis wolkig. Unter diesen Bedingungen erklärt es sich, dass trotz der Krise nur acht Prozent der befragten Unternehmen pessimistisch sind, was Chinas Wachstum für die nächsten zwei Jahre betrifft. Und obwohl die wirtschaftliche Lage in China schwieriger wird, sind bei den Profiten nicht einmal ein Viertel der Unternehmen skeptisch. Das variiert natürlich nach Branchen. Textilhersteller haben es immer schwerer in China. Bei hochwertigen Konsumgütern und Services sind die Einnahmen hingegen im Vergleich zum vergangenen Jahr um zehn Prozent gewachsen.

Die Freihandelszone von Guangdong (Foto: dpa)
Die Freihandelszone von GuangdongBild: picture-alliance/dpa

Allerdings ist insgesamt der Anteil der Firmen, bei denen die Margen in China höher sind als im Weltdurchschnitt, zum ersten Mal unter 30 Prozent gesunken. Auch kein dramatischer Einbruch, sondern nur eine Verschlechterung um zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Aber schon ein deutliches Zeichen, dass die ganz sorglosen Zeiten vorbei sind. Dennoch hat China bei nur sechs Prozent aller befragten Unternehmen eine sinkende Bedeutung in der globalen Strategie. Und über die Hälfte der Unternehmen (56 Prozent) planen 2015, ihre Geschäfte trotz des sinkenden Wachstums noch auszuweiten. Krisenstimmung sieht anders aus.

Schwächere Konjunktur, steigende Löhne

Das wiederum bedeutet nicht, dass es keine großen Probleme gibt. Die größten Sorgen machen sich die europäischen Unternehmen über die schwache Konjunkturlage in der Kombination mit steigenden Löhnen. Eine sehr unangenehme Verflechtung. Aber schon an dritter Stelle nennen sie ein Problem, das gar nichts mit China zu tun hat: die schwache Weltwirtschaft. Sie drückt auch auf die Nachfrage in China. Auch das ist Teil der neuen Normalität. Der amerikanische Aufschwung blüht auf Pump. Die mehr denn je zerstrittenen Europäer drücken den Euro künstlich, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Vergleich dazu ist es in China selbst mit "nur" sechs Prozent Wachstum ein so schwieriger Standort nicht. Zumal der Chinaboom ja längst nicht zu Ende ist. 600 Millionen Menschen sind noch nicht einmal in den internationalen Konsumkreislauf integriert.

Das ändert aber nichts daran, dass die nächsten 30 Jahre schwieriger für europäische Unternehmen werden als die letzten. In immer mehr Branchen entstehen chinesische Wettbewerber, die man ernst nehmen muss. Die chinesische Politik ist geschickter geworden, wenn es darum geht, ihre eigenen Unternehmen zu bevorteilen und ihren verlockenden Markt möglichst teuer zu verkaufen. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, preiswert in China zu produzieren. Das muss nicht schlimm werden, denn der Markt ist noch sehr groß. Und die eine oder andere Reform wird schon gelingen. Sogar Lob der europäischen Firmen für Staats- und Parteichef Xi Jinping findet sich in der Studie der EU-Handelskammer: 85 Prozent der Unternehmen geben an, dass die neuen Antikorruptionsregelungen ihren Erwartungen entsprechen oder sie sogar übertreffen.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.