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Sierens China: Ruhig Blut

Frank Sieren15. Juni 2016

Von ihrer wohl bisher schwierigsten Chinareise kommt Merkel mit einer positiven Bilanz zurück. Trotz heikler Themen bleibt das politische Verhältnis zwischen den Ländern pragmatisch, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am auf dem Gelände des Kaiserpalastes in Shenyang (China) verabschiedet (Foto: picture-alliance/dpa/R.Jensen)
Bild: picture-alliance/dpa/R.Jensen

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in China ein politischer Stammgast, der als sehr verlässlich und wichtigster Ansprechpartner in Europa gilt. Zum neunten Mal war sie bis Dienstag in der Volksrepublik. Dennoch war es kein Routinebesuch. Es hatten sich einige schwierige Themen aufgestaut: die Konflikte im Südchinesisches Meer, das neue NGO-Gesetz und vor allem der Marktwirtschaftsstatus für China mit der zentralen Frage, wie offen die Märkte für Deutsche in China und für Chinesen in Deutschland sind.

Der Unmut in Peking richtet sich eher gegen Brüssel. In Brüssel zögert man sichtlich, ein Versprechen einzulösen, das man den Chinesen vor 15 Jahren zum Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) gegeben hat: sie spätestens im Dezember 2016 als Marktwirtschaft anzuerkennen. Das EU-Parlament hat sich bereits dagegen ausgesprochen. Die Chinesen haben daraufhin mit einem Handelskrieg gedroht. Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sieht China nicht als Marktwirtschaft.

Streitfall: Marktwirtschaftsstatus

Darüber hinaus handelte Gabriel unglücklich angesichts der geplanten chinesischen Investitionen des Haushaltsgeräteherstellers Midea in den Augsburger Roboterhersteller Kuka. Das Unternehmen Midea plant, seine Anteile an dem Unternehmen für 4,5 Milliarden Euro von 13,5 auf maximal 49 Prozent zu erhöhen. Damit bekämen die Chinesen tieferen Einblick in die weltweit führende deutsche Technik. Das stört Gabriel. Er hätte lieber deutsche oder europäische Investoren. Doch die haben derzeit kein Interesse.

Peking jedenfalls hat in dieser schwierigen Lage von Merkel mehr als einen Liebesbeweis erwartet. Und den hat Peking, diplomatisch sehr geschickt, auch bekommen: "Wir wollen die Zusage nicht infrage stellen", sagte die Kanzlerin zu der Zusicherung in Paragraph 15 des WTO-Vertrags, dass China nach 15 Jahren den Marktwirtschaftsstatus bekommt. Das ist für Deutschland und China ein sehr wichtiger Satz. Denn er nimmt den Druck aus der Debatte und zeigt, dass sich Deutschland in der EU für Chinas Marktwirtschaftsstatus einsetzt.

Porträt Frank Sieren (Foto: Marc Tirl)
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Sonderlösung für Stahlexporte?

Gleichzeitig öffnet der Satz den Weg, die Verhandlungen über das Kleingedruckte zu beginnen. Denn es muss am Ende auf eine Art "Marktwirtschaftsstatus light" hinauslaufen, bei dem für kritische Themen - wie zum Beispiel Stahlexporte - Sonderlösungen gefunden werden. Dafür gibt es überzeugende Argumente: Peking kann nicht erwarten, dass die europäischen Politiker gegen ihre Wähler handeln. Oder um es noch zugespitzter zu formulieren: Die EU-Politiker werden nicht wegen der guten Beziehungen zu China ihre Wiederwahl riskieren. Das muss Peking verstehen und deshalb verhandlungsbereit sein.

Man kann es bedauern, aber nicht von heute auf morgen ändern, dass die deutsche - aber auch die EU-Bevölkerung - beunruhigt ist angesichts des Aufstiegs dieses riesigen Landes. Dabei ist es erst einmal egal, ob diese Bedenken nun berechtigt sind oder nicht. In der EU-Wirtschaft sind die Einwände wiederum handfester: Die EU-Manager und Unternehmer sind verärgert darüber, dass europäische Unternehmen nicht den gleichen offenen Zugang zum chinesischen Markt haben, wie ihn Chinesen zum europäischen Markt haben.

Kompromisslösung möglich

In diesem Bereich muss Peking ordentlich nachbessern. Also Marktwirtschaftsstatus - ja. Was man Russland zugestanden hat, kann man China jetzt nicht verwehren. Und es ist zudem schon etwas eigenartig, wenn man wie die EU einen bindenden Vertrag abschließt, und 15 Jahre später dann das Parlament darüber abstimmen lässt mit dem Hinweis, das sei halt so üblich in der Demokratie. Solche Winkelzüge stärken nicht gerade das Vertrauen in die Kraft der Demokratie. Aber das darf andererseits nicht heißen, dass Peking sich auf dem Status ausruhen darf. Die Chinesen müssen ihre Hausaufgaben machen, wenn sie verhindern wollen, dass der Unmut gegenüber China größer wird.

Da Frankreich und vor allem auch die Briten schon signalisiert haben, dass China den Marktwirtschaftsstatus bekommen soll, ist nun der Weg frei für eine Lösung, mit der alle leben können. Der Sieg des Pragmatismus in den deutsch-chinesischen Beziehungen könnte auch ein Sieg der europäisch-chinesischen Beziehungen werden, wenn die EU-Kommission jetzt mitspielt und den Ton, den Merkel angeschlagen hat, übernimmt: Marktwirtschaftsstatus - ja gerne, aber Ausnahmen sind notwendig.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.