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Der Ferienkanzler

Sabine Kinkartz7. August 2014

Angela Merkel weilt im Urlaub, Vizekanzler Sigmar Gabriel vertritt sie. Doch im Regierungsviertel ist nichts los. So nutzt der SPD-Chef die Zeit für eine politische Sommerreise und feilt am Kurswechsel seiner Partei.

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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel beim Besuch des Offshore-Windparks Baltic (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und schließlich Thüringen: In dieser Woche bereist Sigmar Gabriel die ostdeutschen Bundesländer. Es sind zumeist kleine, mittelständische Firmen, denen der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler einen Besuch abstattet. In Wildau, südöstlich von Berlin gelegen, besichtigt er ein Unternehmen, das Flugzeugturbinen auf deren Aerodynamik und Akustik testet. An der Ostsee nimmt Gabriel Kurs auf den ersten deutschen kommerziellen Offshore-Windpark Baltic 1. In Halle interessiert er sich für ein Unternehmen, das sich mit der Erforschung und Speicherung von alternativer Energie beschäftigt und in Leipzig lässt er sich die Strombörse zeigen.

Spektakulär ist das nicht, dennoch hat sich ein Tross Journalisten an die Fersen des SPD-Chefs geheftet. Sie werden nicht enttäuscht. Das Berliner Regierungsviertel mag im parlamentarischen Sommerschlaf liegen, die Kanzlerin und die meisten ihrer Minister im Urlaub weilen - Sigmar Gabriel hingegen läuft politisch auf Hochtouren. Der Vizekanzler ist vorübergehend die Nummer eins und diese Zeit nutzt Gabriel. Vor der täglich wechselnden Kulisse seiner Sommerreise liefert er Schlagzeilen.

Angefangen vom Stopp für ein mit Hilfe des Rheinmetall-Konzerns geplantes Gefechtsübungszentrum für russische Soldaten über den Plan, klammen Kommunen finanziell unter die Arme zu greifen bis hin zur Forderung nach einem Abbau der kalten Steuerprogression. In der Opposition hatte sich die SPD scheinbar nicht dafür interessiert, dass Gehaltssteigerungen durch höhere Steuersätze in Verbindung mit der Inflation teilweise aufgezehrt werden. Aus der Regierungsperspektive sieht das anders aus.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sitzt während seiner Sommerreise in einem Bus (Foto: Britta Pedersen/dpa)
Gabriel tourt während der Sommerpause mit dem Bus durch OstdeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Mehr Wirtschaftskompetenz

Der Schwenk beim Thema Steuerprogression ist symptomatisch. Er passt zum Kurswechsel, auf den Sigmar Gabriel die SPD bringen will. Nicht ohne Grund hat sich der 54-jährige zum Bundeswirtschaftsminister machen lassen. Seine Partei soll wieder in die Mitte rücken und mehr Profil in der Wirtschaftspolitik zeigen. "Sozialdemokratie darf sich nicht nur als Betriebsrat der Nation verstehen", formuliert Gabriel neuerdings. Seiner Partei werde zwar viel Kompetenz in der Sozialpolitik zugeordnet, aber noch zu wenig in Wirtschafts- und Arbeitsmarktfragen. Die SPD müsse neben ihrem sozialen Profil auch liberal sein. Dazu gehöre der Schutz der Bürgerrechte, aber auch Freiheit für unternehmerisches Handeln.

Nicht nur sozialdemokratische Parteigänger werden zunächst meinen, sich verhört zu haben. Immerhin hat die SPD gerade erst alle sozialen Wohltaten umgesetzt, die sie im Wahlkampf versprochen hatte. Angefangen vom gesetzlichen Mindestlohn bis hin zur Rente mit 63. Doch offensichtlich wird das von den Bürgern nicht weiter honoriert. Gut 25 Prozent der Wähler haben die SPD bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst gewählt. Die Union kam auf rund 41 Prozent. Seit die Parteien in der Großen Koalition zusammen regieren, haben sich die Umfragewerte nur unwesentlich verändert. In der jüngsten Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap kam die SPD in dieser Woche auf 26 Prozent.

In die Zukunft gedacht

Ein mageres Ergebnis. Will die SPD 2017 besser abschneiden als zuletzt, dann müssen neue Wählerschichten erobert werden. Wahlen, das hat schon Gerhard Schröder 1998 gezeigt, werden in der Mitte gewonnen. Auch die Wahl Willy Brandts zum ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler ging darauf zurück, dass die Bürger der SPD eine vernünftige Wirtschaftspolitik zutrauten. Gabriel will seine Partei daher näher an die Wirtschaft heranführen, enger mit dem Mittelstand und den Familienunternehmen zusammenarbeiten.

Sigmar Gabriel während Gesprächen über das Freihandelsabkommen USA-EU. Im Hintergrund stehen der BDI-Voristzende Grillo und BGA-Präsident Börner (Foto: Christoph Schmidt/dpa)
Gabriel nach Gesprächen über das Freihandelsabkommen TTIP mit BDI-Chef Grillo (li.) und BGA-Präsident BörnerBild: picture-alliance/dpa

Damit schwenkt er auf die Linie der wirtschaftsliberalen Kräfte in seiner Partei ein. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil kritisierte kürzlich, die SPD habe im Wahlkampf zu sehr an ein "diffuses Gerechtigkeitsgefühl" appelliert. Es sei höchste Zeit, die Frage zu stellen, woran es liege, dass die SPD aus ihrem "20-Prozent-Turm" nicht herauskomme. Auch der Regierende Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz und der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann möchten das wirtschaftspolitische Profil der Partei stärken.

Fragt sich nur, wie der linke Flügel der SPD reagieren wird. Der hat schon genug daran zu knabbern, dass das Thema Steuererhöhungen vom Tisch zu sein scheint. Noch ist wenig zu hören, noch rumort es nicht. Aber bekanntlich geht jede Sommerpause irgendwann zu Ende.