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Signal für eine falsche Politik

Thomas Bärthlein30. August 2002

China hat sich mit den USA im Kampf gegen den Terrorismus solidarisch erklärt. Dafür sehen die USA beim Kampf der Chinesen gegen Minderheiten nicht so genau hin. Zwei Supermächte sind sich einig, meint Thomas Bärthlein.

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Die Anschläge vom 11. September vergangenen Jahres haben eine Annäherung zwischen China und den USA zur Folge gehabt. Die USA haben zu verstehen gegeben, dass sie die Unterdrückung von Minderheiten durch die Chinesen nicht unbedingt an die große Menschenrechtsglocke hängen würden. Die chinesisch-amerikanische Achse wurde durch den jüngsten Besuch von US-Vizeaußenministers Richard Armitage bekräftigt. Die Chinesen kontrollieren ihre Raketenexporte künftig strenger, die USA setzen dafür eine Separatistenbewegung namens "Islamische Bewegung Ost-Turkestan" auf ihre offizielle Liste terroristischer Organisationen. Mit dem Kampf gegen terroristischen Islamismus hat das allerdings nichts zu tun, denn die Freiheitsbewegung vertritt das unterdrückte Volk der Uighuren.

In der "Autonomen Region Xinjiang" im Nordwesten Chinas gibt es unter den Uighuren und anderen Turkvölkern große Ressentiments gegen die chinesische Führung. Das liegt daran, dass seit den sechziger Jahren Millionen von Chinesen nach Xinjiang einwanderten, so dass die Uighuren inzwischen an vielen Orten in der Minderheit sind. Die Dominanz der Chinesen auf allen Gebieten des Lebens ist, wie im benachbarten Tibet, erdrückend: Nicht Uighuren bekommen die guten Jobs und Führungspositionen in Xinjiang, sondern Chinesen. Die uighurische Sprache wird immer weiter zurückgedrängt, zum Beispiel an den Universitäten. Aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen – Xinjiang verfügt über riesige Erdölvorkommen und beherbergt das nukleare Testareal Lop Nor – übt die chinesische Zentralregierung eiserne Kontrolle über die Region aus. Die wirtschaftliche Erschließung des Gebiets, etwa durch Fernstraßen, ist allein diesen Interessen der Zentrale untergeordnet und kommt nur den Chinesen zugute.

Der Konflikt zwischen angestammter Bevölkerung und den übermächtigen Nachbarn aus dem Osten hat eine jahrzehntelangen Geschichte. In den dreißiger und später noch einmal in den vierziger Jahren gab es in Xinjiang eine unabhängige "Republik Ostturkestan". Viele Uighuren mögen auch heute wieder von einem eigenen Staat träumen, besonders, seitdem die benachbarten Turkvölker, die Usbeken, Kasachen und Kirgisen, ihre Unabhängigkeit von Moskau erreicht haben. Und manche leisten auch bewaffneten Widerstand gegen die chinesische "Besatzung" – wie sie es empfinden. In den späten neunziger Jahre kam es zu einer Reihe von Anschlägen, sogar in Peking, die radikalen Separatisten zur Last gelegt wurden. Menschenrechtsorganisationen wiesen auf die hohe Rate von Exekutionen hin, die in Xinjiang an Einheimischen verübt wurden.

Aber all das hat mit Kampf gegen Islamismus praktisch nichts zu tun. Der fundamentalistische Islam findet unter den lebensfrohen Uighuren nur wenig Zulauf. Dass man wie unter den Taliban Alkohol und Musik verbieten könnte und Männer und Frauen streng trennen würde - so etwas wäre in Xinjiang niemals durchzusetzen.

Chinas Minderheitenpolitik ist gescheitert. Das ist das Problem in Xinjiang genau so wie in Tibet, und nicht der internationale Terrorismus. Menschenrechtsorganisationen haben Zweifel daran angemeldet, dass es die jetzt als "terroristisch" eingestufte "Islamische Bewegung Ost-Turkestan" in dieser Form überhaupt gibt. Unabhängige Belege dafür fehlen jedenfalls. Und selbst wenn es durch die geografische Nähe zu Afghanistan wahrscheinlich wäre, dass Anhänger Bin Ladens auch in Xinjiang aktiv sind: Diese Gruppen dürften nur sehr klein sein. Selbst die chinesischen Behörden legen Wert darauf, die Gefahren des "Terrorismus" in Xinjiang nicht in zu grellen Farben zu malen: Schließlich wollen sie ausländische Investoren in den Westen des Landes locken.

Die USA haben China mit der Einstufung uighurischer Separatisten als Terroristen ein diplomatisches Geschenk gemacht. Dass Vizeaußenminister Armitage gleichzeitig die Einhaltung von Minderheitenrechten angemahnt hat, fällt daneben weniger stark ins Gewicht. Nach dem 11. September 2001 hat Peking die politische und kulturelle Repression in Xinjiang deutlich verstärkt. Für diese Politik hat Peking jetzt von Washington die nachträgliche Bestätigung erhalten. Man muss kein Hellseher sein, um die Radikalisierung des uighurischen Widerstands vorherzusagen.