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Sind Träume Schäume?

Martin Hubert / (pf)14. November 2002

Verstehen Sie Ihre Träume als eine verkappte Wunscherfüllung á la Freud, durch die Ihre geheimsten Gefühle in zensierter Form zum Ausdruck kommen? Wissenschaftlich gesehen eine in letzter Zeit viel diskutierte Ansicht.

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Sigmund FreudBild: AP

Hirnforscher haben für die Freudsche Traumtheorie schon seit längerem nur ein geringschätziges Lächeln übrig. Denn die Hirnaktivität beim Schlaf hat nach ihren Erkenntnissen überhaupt nichts mit verdrängten Wünschen zu tun. Träume, so die Theorie der Neurobiologen, dienen dazu, den Gedächtnisspeicher des Gehirns von überflüssigem Ballast zu befreien, sich auf den kommenden Tag vorzubereiten oder neue Aufgaben zu lernen. Allerhöchstens bezögen sie sich auf aktuelle Stimmungen, aber keinesfalls auf verborgene Gefühle und Wünsche der Vergangenheit.

Die Theorie von Allan Hobson

Jetzt sind jedoch neurobiologische Belege dafür aufgetaucht, dass Freud doch Recht gehabt haben könnte. Einer der schärfsten Gegner der Freudschen Traumtheorie ist der amerikanische Hirnforscher Allan Hobson. In zahlreichen Studien belegte er, dass Träume entstehen, wenn eine bestimmte Region in der Tiefe des Gehirns aktiv wird, die sogenannte "Pons". Sie bringt höher gelegene Areale des Gehirns dazu, bizarre Vorstellungen und Bildergeschichten zu erzeugen. Die Motivationssysteme des Gehirns spielen dabei aber keine wesentliche Rolle. Also, folgerte Hobson, könne Träumen auch nichts mit verkappter Wunscherfüllung oder zensierten Begierden zu tun haben.

Zurück zu Freud

Der Psychoanalytiker und Neurobiologe Marc Solms vom Londoner Anna-Freud-Centre hät die diese Entdeckungen für falsch und überholt. Denn die Forscher hätten in den vergangenen Jahren entdeckt, dass die Mechanismen viel komplizierter sind, als Hobson sich das jemals vorgestellt habe. Solms führt aus: "Es war auch für uns eine Riesenüberraschung, als wir feststellten, dass die Schädigung bestimmter Nervenverbindungen zwischen dem Vorderhirn und tiefergelegenen Hirnregionen dazu führt, dass diese Patienten nicht mehr träumen können."

Der Motivation, dem Interesse auf der Spur

Die Nervenverbindungen haben offenbar gerade mit den Motivationen zu tun, die bei den neurobiologischen Theorien (Hobson) keine Rolle spielen. Die Verbindungen arbeiten mit dem Botenstoff Dopamin. Dieses hat nur eine Aufgabe: Motivation des Organismus. Diese Nervenverbindungen sind dafür verantwortlich, dass wir uns für Menschen, Dinge, Aktivitäten interessieren, weil sie den innersten Bedürfnissen entsprechen. Alle instinktiven Bedürfnisse werden über diesen Nervenpfad angeregt.

Die Entstehung von Traum-Stress

Interessant ist auch eine zweite Tatsache. Die Nervenfasern, die mit Hilfe von Dopamin den Organismus antreiben, enden in einer Hirnregion direkt hinter den Augen, in der sogenannten "ventromesialen Region". Als Marc Solms Patienten beobachtete, bei denen diese Region geschädigt ist, stellte er fest, dass sie sich sozusagen im Traum-Stress befinden. Unaufhörlich werden sie von inneren Traumbildern überschwemmt. Beim morgendlichen Aufwachen können sie Traum und Realität nicht unterscheiden.

Mit Freuds "Zensurinstanz" zu neuem Gesamtkonzept

Für Solms spielt die intakte ventromesiale Hirnregion daher die Rolle, die Freud der sogenannten "Zensurinstanz" zugewiesen hatte. Sie unterdrückt und filtert die inneren Antriebe und Wünsche, die aus dem Unbewussten aufsteigen. Im Wachzustand ist sie so stark aktiv, dass die unbewussten Regungen fast gar keine Chance haben, in Träumen ihren Ausdruck zu finden. Im Schlaf schließlich scheint die ventromesiale Region auf "halbe Kraft" zu schalten. Die zensierenden Gehirnteile geben im Schlaf also stärker als im Wachzustand den inneren Sehnsüchten und Antrieben Raum.

All diese Befunde, fasst Marc Solms zusammen, seien unbestritten. Sie müssten nur noch in ein neues Gesamtkonzept integriert werden. Und dabei könne man nicht mehr auf Freud verzichten.