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Das Schweigen der Sänger

3. Mai 2010

Ob Kinder-, Jahreszeiten-, Wander- oder Weihnachtslieder: Das deutsche Liedgut ist ein riesiger musikalischer Schatz, aber er wird kaum noch beachtet. Ganz anders ist das in anderen Kulturen.

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Mehr als 60 Nationen singen im Mitarbeiter-Chor der Deutschen Welle (Foto: DW)
Bild: DW

Wenn die Kandidatinnen und Kandidaten in der Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" die Jury von ihrem Gesangstalent zu überzeugen versuchen, schaut ein Millionenpublikum zu. Die wenigsten von ihnen kämen dabei auf den Gedanken, selber zu singen - etwa in einem Chor. Auch die Teilnehmer des "Tages der Singkulturen", der im Rahmen der Ruhr 2010 stattfand, machen da keine Ausnahme. Singen, so sagen viele, würden sie in ihrer Freizeit so gut wie gar nicht.

Ist singen out?

Der türkische Musikwissenschaftler und Musiker Sabri Uysal singt mit einer Gesangsschülerin (Foto: Sonja Gillert)
Der türkische Musiker Sabri UysalBild: DW

Dass sich das Ruhrgebiet dem Thema "Gesang in den Kulturen" in verschiedenen Workshops annimmt, kommt nicht von ungefähr: gerade in dieser Region wurde lange das Bergarbeiterliedgut gepflegt. Aber diese Lieder kennt die junge Generation genauso wenig wie die klassischen Volkslieder. Und Singen ist ziemlich uncool; das gilt oft auch für die etwas Älteren. Die Musikpädagogin Irmgard Merkt von der Technischen Universität Dortmund erklärt: "Wenn man sie fragt, welche Lieder sie kennen und ob sie eine Strophe auswendig können, sagen die meisten, dass sie nicht singen könnten und das auch nicht wollten. Deutsche Singkultur ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Türken dagegen singen noch. Die haben ihre Volkslieder, die zum Teil noch aus dem 13. Jahrhundert stammen. Das ist doch schön."

Nicht nur die türkische Gesangskultur findet man heute in Deutschland, sondern auch die portugiesische, spanische, italienische, jugoslawische oder griechische. Die damaligen Gastarbeiter brachten die Lieder aus ihrer Heimat mit, als sie in den 60er Jahren in die Bundesrepublik kamen - und in ihren Familien haben sich die Traditionen bis heute erhalten.

Singen in den Medien

Während das zeitgenössische deutsche Liedgut meist in der seichten Schlagergefühlswelt vor sich hindümpelt, gehen türkische, albanische oder kosovarische Lieder viel weiter. Dort, so Liedermacher Frank Baier, würden beispielsweise Klage und Trauer oder der Schmerz über Flucht und Migration viel stärker besungen.

Ein traditionelles Instrument der türkischen Volksmusik: Die Saz (Foto: Sonja Gillert)
Traditionelles türkisches Volksmusikinstrument: die SazBild: DW

Zwar wirken sich die Medien mittlerweile auch auf ihre Gesangstraditionen aus; dennoch sind sie im Vergleich zur deutschen immer noch viel lebendiger. Und das würden die Deutschen spüren, wenn sie beispielsweise mit Spaniern oder Italienern feiern, meint Irmgard Merkt: "Da wird die ganze Zeit gesungen. Bei uns ist das Singen nicht mehr so selbstverständlicher Ausdruck von Lebensfreude."

Autor: Sonja Gillert
Redaktion: Gudrun Stegen