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Sinnsuche im Dreiergespräch

27. Juni 2005

Die EU steckt in der Krise. Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens haben in Warschau über die Zukunft beraten. Die Neuen im Osten wissen offensichtlich, was sie wollen.

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Warschau: Impulsgeber für ein neues "Europa"?Bild: dpa


"Meiner Meinung nach müssen wir unsere Zusagen einhalten, selbst wenn sie unpopulär sind", sagte Bundesaußenminister Joschka Fischer beim Treffen des Weimarer Dreiecks in Warschau (27. Juni 2005). Es dürfe nicht zugelassen werden, dass nationale Egoismen die Überhand über die europäische Idee gewönnen - trotz des wachsenden Widerstandes der Bevölkerung.

Symbolbild türkische und europäische Flagge
Türkei als HerausforderungBild: AP

Allerdings müsse die EU zugleich ihre Institutionen stärken, um die Erweiterung erfolgreich fortzuführen. Fischer sprach von der größten Krise, der die EU je gegenübergestanden habe. Ohne eine Stärkung der EU drohe die Krise der EU noch gefährlicher zu werden. Die Ängste vieler Bürger im Zusammenhang mit der Erweiterung müssten wahrgenommen und analysiert werden.

Die G-6 von Europa

Jacques Chirac mit Nicolas Sarkozy, links, und Dominique de Villepin
Jacques Chirac mit Nicolas Sarkozy, links, und Dominique de VillepinBild: AP

Wenige Stunden vor dem Treffen hatte Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy eine Pause bei der EU-Erweiterung verlangt. "Europa kann nicht unbegrenzt erweitert werden", sagte Sarkozy, ohne die Türkei explizit zu nennen. Nach dem 2007 geplanten Beitritt Bulgariens und Rumäniens solle die Erweiterung vorerst gestoppt werden. Sarkozy forderte zudem, "die Frage nach dem Motor Europas" zu stellen: Ein Europa aus 25 Staaten könne "nicht einfach mit einem Zweitaktmotor vorankommen". Die sechs großen EU-Länder müssten sich "abstimmen, um einen kräftigen Motor für das neue Europa zu bilden", sagte Sarkozy mit Blick auf die so genannte G-6-Gruppe Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Polen.

Reformvorschläge aus Großbritannien gutgeheißen

Die EU stecke in der Sackgasse und leide an einem Mangel an Zukunftskonzepten, sagte der polnische Außenminister Adam Rotfeld. Die Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden zeigten ein Demokratiedefizit, die Meinung der einfachen Bürger sei von der politischen Führung zu lange ignoriert worden. Es handele sich um eine "politische und nicht um eine institutionelle Krise".

Markt in Warschau
Markt in WarschauBild: dpa

Polen findet - wie die anderen ehemaligen Ostblock-EU-Staaten auch - die Reformvorschläge von Tony Blair eine Überlegung wert. Blairs Ideen: Brüssel soll künftig weniger Geld in die Landwirtschaft fließen lassen. Die Milliarden sollen für Kleinbetriebe, für Bildung und moderne Spitzentechnologie zur Verfügung stehen. Außerdem: weniger starre Regeln auf dem Arbeitsmarkt und weniger staatliche Steuerung. "Ich mag diese Vision sehr", sagte Adam Rotfeld dazu kürzlich - mit einer kleinen Einschränkung: Polen dürfe auch nach einer Reform nicht weniger Hilfen aus Brüssel erhalten.

Alt-Europa: "Fürsorglich" aus purem Eigennutz?

"Europa braucht heute einen frischen Blick auf sich selbst und muss sich besser den Herausforderungen der Gegenwart anpassen", fordert Polens Außenminister. Nach Jahren harter Reformen ist den acht EU-Neuen im ehemaligen Ostblock das britische System näher als das deutsche oder französische Sozialstaats-Modell. In den vergangenen 15 Jahren haben die ehemals kommunistischen Länder ihre Wirtschaft privatisiert, den Arbeitsmarkt dereguliert, Renten- und Steuersystem reformiert.

Erdbeerpflücker aus Polen in Offenburg
Polnische ErntehelferBild: AP

Dass Deutschland und Frankreich "soziale Standards" in Europa fordern, wird im Osten oft als Egoismus angesehen - und als Weigerung, nicht mit den Neuen teilen zu wollen. Seit ihrem Beitritt im Mai vergangenen Jahres wurden die Neuen aus Berlin und vor allem aus Paris wegen ihrer Niedrig-Steuersätze kritisiert.

Die Abschottung des Arbeitsmarkts der alten EU-Länder für die ersten Jahre nach der Erweiterung halten die Neuen ebenfalls für egoistische Wettbewerbsverzerrung. Hier hat Großbritannien einen Stein im Brett, denn London hat seinen Arbeitsmarkt bereits geöffnet: Rund 175.000 Menschen aus Osteuropa arbeiten heute in Großbritannien. Die wahrscheinlichen Wechsel zu konservativen Regierungen bei den Wahlen in Polen im Herbst und in Tschechien Mitte nächsten Jahres dürften den liberalen Trend in Osteuropa weiter verstärken. (arn)