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Sinti- und Roma-Orchester erinnert an Holocaust

Marita Berg30. November 2012

Mit einer leise verhallenden Totenglocke endet das "Requiem für Auschwitz". Roger Moreno Rathgeb schrieb es für die Opfer des Nazi-Völkermordes, vor allem aber für eine vergessene Gruppe unter ihnen, die Sinti und Roma.

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Sinti-Roma-Philharmoniker (Foto: Jan van Eerd)
Bild: Jan van Eerd

Generalprobe in der Alten Oper, Frankfurt. Auf den Notenpulten das “Requiem für Auschwitz“ des Sinti-Komponisten Roger Moreno Rathgeb, am Dirigentenpult Riccardo Sahiti. Er hebt den Taktstock und begrüßt die Musiker seiner Sinti- und Roma-Phiharmoniker in den verschiedensten Sprachen: Denn die Orchestermitglieder stammen aus ganz Europa und gehören einer bis heute als "Zigeuner" diskriminierten Minderheit an.

Riccardo Sahiti selbst ist Roma und gebürtiger Kosovare aus der Nähe von Pristina. Den Wunsch Musiker zu werden, hatte er schon als kleines Kind. Er lernte Klavier und studierte Dirigieren in Belgrad, in Moskau und ab 1992 bei Jiri Starek in Frankfurt. Nach seinem Abschluss bewarb er sich bei vielen Orchestern um Anstellung. Doch er bekam nur Absagen.

“Ich habe bei exzellenten Dirigenten studiert“, sagt Riccardo Sahiti, “aber niemand wollte mir Arbeit geben. Ein Leben als Dirigent war damals für mich einfach unmöglich.“ Sahiti fragte zwar immer wieder nach, ob die Abweisung mit seiner Roma-Herkunft zu tun habe, eine Antwort erhielt er aber nicht.

Komponist Roger Moreno Rathgeb am Akkordeon (Foto: John Baggen)
Komponist Roger Moreno Rathgeb am AkkordeonBild: John Baggen

Lebenstraum erfüllt

Riccardo Sahiti gab nicht auf – im Gegenteil: Ihm wurde klar, dass er gegen diese Vorverurteilungen von Sinti und Roma protestieren musste, und das am besten mit Musik. Denn Sahiti glaubt fest an die Kraft der Musik. “Dann hatte ich die Idee“, erzählt er. “Ich wusste, viele Sinti und Roma spielen in den großen Orchestern Europas, in Budapest, Belgrad, Wien, München, Leipzig, Frankfurt oder Brüssel. Warum nicht all diese Musiker in einem Orchester vereinen? Wir müssen zusammenspielen, als Sinti und Roma in die Öffentlichkeit gehen.“

Er gründete in Frankfurt einen Förderverein und erfüllte sich dann 2002 mit der Gründung der Sinti- und Roma-Philharmoniker einen Lebenstraum. Schnell hatte er die ersten Musiker für sein Projekt gefunden. Und der Erfolg des Gründungskonzerts in Frankfurt im November 2002 gab ihm Recht: “Wir haben damals ganz klein angefangen“, erinnert sich Sahiti. “Nur mit Streichern, mit 25 Leuten. Und das Konzert war ausverkauft und hat über vier Stunden gedauert.“

Der Dirigent Riccardo Sahiti im Kreise seiner Musiker (Foto: Björn Hadem)
Der Dirigent Riccardo SahitiBild: Björn Hade,

Anspielen gegen Klischees

Radovan Krstic, Kontrabassist aus Serbien, ist Orchestermitglied der ersten Stunde. Für ihn ist die Existenz eines solchen Minderheiten-Orchesters nach wie vor eine Notwendigkeit: “Europa braucht dieses Orchester“, erklärt er. “Wir sind Sinti und Roma und wir sind stolz auf unsere Kultur. Aber in vielen Ländern Europas werden wir immer noch als 'Zigeuner' diskriminiert. Mit unserer Musik aber können wir gegen solche Klischees anspielen“.

Davon ist auch Sebastian Burnic überzeugt. Der junge Trompeter stammt aus Rumänien und ist erst seit kurzem bei den Sinti- und Roma-Philharmonikern, die mittlerweile aus rund 80 Mitgliedern bestehen. Ein Musiker hatte ihm von dem Projekt erzählt und ihn eingeladen mit zu spielen. Und Sebastian musste nicht lange überlegen: “Es ist nicht nur musikalisch ein phantastisches Orchester“, erzählt er. “Noch wichtiger ist, denke ich, unsere Botschaft, die weit über die Musik hinausreicht.“

Sinti- und Roma Philharmoniker (Foto: Björn Hadem)
Die Sinti- und Roma PhilharmonikerBild: Björn Hadem

Werk für die Ewigkeit

Mit dem "Requiem für Auschwitz" ist das Orchester seit Mai auf Europa-Tournee. Das Konzert in Frankfurt war die erste Station in Deutschland. Der Autodidakt Roger Moreno Rathgeb hat das eindrucksvolle Werk für Solisten, Chor, Orgel und großes Orchester eigens für die Sinti- und Roma-Musiker geschrieben. Auslöser war ein Besuch im berüchtigten "Zigeunerlager" des nationalsozialistischen Konzentrationslagers in Auschwitz. "Natürlich hatte ich schon vorher viel über Auschwitz gelesen", schildert Rathgeb. "Aber, wenn man dann selber durch das Tor mit der Aufschrift 'Arbeit macht frei' geht, dann stürzen die Gefühle auf einen ein. Und man denkt nur: Ich komme unbehelligt hier wieder raus. Die Leute damals konnten das nicht mehr." Für Rathgeb gab es damals nur einen Gedanken - er wollte durch ein musikalisches Denkmal an den Völkermord der Nazis in Auschwitz erinnern: "Dem Tod dieser vielen Menschen haben wir auf gewisse Weise die Freiheit zu verdanken, in der wir heute leben."

Für Riccardo Sahiti ist das "Requiem für Auschwitz" ein Werk für die Ewigkeit. Es bedeutet nicht nur Gedenken, sondern es richtet den Blick auch nach vorn: "Einerseits ist das Werk Erinnerung an die Menschen, deren Leben in den Gaskammern der Nazis vernichtet wurden", erklärt Sahiti.

"Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Friedensgebet, ein Appell für die Zukunft. Wir brauchen keinen Krieg, wir brauchen Frieden. Und ich denke, das Requiem hat die Kraft dazu etwas beizutragen, dass die Menschen künftig friedlicher miteinander leben."

Außenansicht des Eingangsbereichs zum nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau mit der Inschrift "Arbeit macht frei" über dem Tor (Foto: Frank Leonhardt/ dpa)
Aufschrei der GefühleBild: picture alliance/dpa