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Skandal im Bioland

Jens Thurau14. Juni 2002

Im bisher beispiellosen Öko-Skandal haben Unternehmen mit verseuchten Produkten wissentlich die Gesundheit der Verbraucher aufs Spiel gesetzt. Das Image einer Branche steht auf dem Spiel und Renate Künasts Agrarwende.

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Lebensmittelinstitut untersucht Öko-Eier und Geflügelfleisch nach NitrofenBild: AP
Renate Künast
Renate Kuenast, Bundesministerin fuer Verbraucherschutz und Landwirtschaft betrachtet ein ökologisches Ei, während einer Aktion des Deutschen Tierschutzbundes in Berlin am Donnerstag, 4. Oktober 2001.Bild: AP

Es ist kein Wunder, dass Verbraucherministerin Renate Künast eine vollständige Aufklärung des Skandals um giftverseuchte Bio-Produkte angekündigt hat. Union, FDP und der Bauernverband werfen der grünen Ministerin vor, ihr Haus nicht im Griff zu haben und einseitig auf den Öko-Landbau zu setzen.

Agrarwende vor dem Scheitern?

Am Dienstag (28. Mai 2002) versammelte Künast Vertreter des ökologischen Wirtschaftens in Berlin zu einer Krisensitzung und verkündete danach: Es geht erst Recht weiter mit regionalen Kreisläufen, mehr Öko-Höfen und größerer Transparenz. Zitat: "Das, was hier passiert ist, ist der Ausdruck eines alten Systems und fehlender Kontrollen. Das ist eine weitere Begründung für die Agrarwende. Davon bin ich fest überzeugt. Ich habe im vergangenen Jahr im Februar gesagt, wir gehen durch ein langes und steiniges Tal. Niemand wird geglaubt haben, dass Sie dieses ganze alte System - mit fehlenden Kontrollen, mit solch selbstverständlichem Fehlverhalten - innerhalb von anderthalb Jahren ändern können."

Die Fakten

Fest steht bislang: Ein Futtermittelhersteller aus Niedersachsen hat mit Nitrofen versetzten Weizen weiterverarbeitet und an rund 120 Öko-Betrieb geliefert. Das Pflanzenschutzmittel Nitrofen gilt als hoch krebserregend. Die Firma widmet sich nur zu zehn Prozent der ökologischen Produktion und zu 90 Prozent der konventionellen Wirtschaft. Woher der Weizen stammte, ist noch unklar. Zunächst war gemeldet worden, ein Unternehmen aus Brandenburg habe den Weizen geliefert. Dafür gebe es aber keine aktuellen Anzeichen, so Künast. Der Weizen könne auch aus Osteuropa stammen, etwa aus Polen, wo Nitrofen - anders als in Deutschland - nicht verboten ist.

Fest scheint auch zu stehen: Das Unternehmen in Niedersachsen hat bei sage und schreibe 31 Eigenkontrollen Nitrofen festgestellt - und das Futtermittel dennoch weiterverkauft. Und die Bio-Verbände wussten seit dem Frühjahr von der Gefahr, dachten aber an Einzelfälle - und gingen ebenfalls nicht an die Öffentlichkeit. Thomas Dosch, Geschäftführer des Bioland-Verbandes, räumt diesen Fehler ein und spricht von naiver Arglosigkeit, fügt aber hinzu: "Ich kenn keinen Erzeugerbetrieb, dem man jetzt in diesem Zusammenhang ein Vergehen vorwerfen kann. Die Katastrophe für uns besteht in dem Imageverlust und in dem sinkenden Vertrauen vor allem für die Betriebe, die seit Jahren redlichen ökologischen Landbau betreiben, gute Produkte in der Vergangenheit angeboten haben und dies auch in Zukunft tun werden."

Künast zunächst sprachlos

Der Futtermittelhersteller unternahm nichts, die Erzeuger tauschten ihre Erkenntnisse nicht aus - so kam es, dass das Künast-Ministerium erst jetzt in Kenntnis gesetzt wurde. Im März prüfte die Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach ein Öko-Fleisch Produkt auf privater Basis, also im Auftrag eines Erzeugers. Die Experten fanden Nitrofen - und schwiegen. Die Bundesanstalt untersteht - wie 16 weitere Forschungsanstalten, dem Verbraucherschutzministerium. Renate Künast war zunächst sprachlos, als sie davon hörte: "Es gibt Dinge, auf die wäre ich ehrlicherweise gar nicht gekommen - zum Beispiel solche Abläufe. Wir stellen das jetzt für alle Bundesbehörden ab. Wo immer ab jetzt Bundesinstitute Tests machen, ist klar, dass sie diese Tests nur annehmen dürfen und vornehmen dürfen, wenn bei einem positiven Befund weitergemeldet wird."

Auch ein bekannter Hersteller von Babynahrung fand in unternehmens-internen Tests das Nitrofen, nahm die verseuchten Produkte aus dem Handel - und schwieg.

Wo das Fleisch jetzt ist, ist unklar. Die Produkte der 120 Bio-Höfe werden zunächst nicht verkauft, auch verseuchtes Fleisch, das für Russland bestimmt war, konnte beschlagnahmt werden. Fünf Bundesländer sind insgesamt betroffen, mit ihren Agrarministern trifft sich Künast am Donnerstag (30. Mai 2002).