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Skeptische Bilanz, abwartender Ausblick

21. April 2003

Auf den ersten Blick scheinen der Irak und Afghanistan in einer ähnlichen Lage. Tatsächlich sind aber die Unterschiede frappierend - und dem Irak geht es vergleichsweise hervorragend.

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Afghanistan: Jahrzehntelang ausgeblutetBild: AP

Wenn derzeit über den Wiederaufbau Iraks diskutiert wird, fällt der Blick fast automatisch auf Afghanistan. Wie bei der Entmachtung von Saddam Hussein haben die USA in dem Land am Hindukusch mit dem Sturz der Taliban eine langjährige Schreckensherrschaft beendet. Doch die Nachkriegslage ist in beiden Ländern völlig unterschiedlich: Während der Irak durch seine Ölfelder noch immer über reiche Ressourcen verfügt und zudem eine passable Infrastruktur aufweist, war Afghanistan nach Kriegsende durch einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg ausgeblutet. Der Vielvölkerstaat Afghanistan bleibt zudem ein Pulverfass, und die aus vier verfeindeten Gruppen gebildete Regierung in Kabul ist alles andere als stabil.

Waffen, Drogen, Armut

Die in Brüssel ansässige International Crisis Group zieht für Afghanistan eine skeptische Bilanz der bisherigen Nachkriegszeit. Der Sturz der radikal-islamischen Taliban-Herrschaft und das Engagement der internationalen Gemeinschaft habe dem Land zwar "die seit Jahren beste Chance auf Frieden" geliefert; doch es gebe noch immer jede Menge Fallstricke: "Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, es ist mit Waffen und Drogen gespickt, und die Bevölkerung - nicht zuletzt die Frauen - weist eine der schlechtesten Gesundheits- und Bildungsraten auf", warnt die international operierende Denkfabrik. "Die ethnischen Konflikte sind stark verwurzelt, und die Kriegsherren kontrollieren einen großen Teil des Landes."

Die Sicherheitslage ist landesweit ein riesiges Problem - trotz der mehr als 11.000 US-Soldaten, die das Land bis heute auf der Suche nach Taliban- und El-Kaida-Kämpfern durchkämmen. Selbst in Kabul, das von der Internationalen Schutztruppe ISAF bewacht wird, kommt es immer wieder zu Übergriffen. Im vergangenen Jahr wurden in der Hauptstadt und auf dem dortigen Flughafen binnen weniger Monate zwei Minister der Regierung Hamid Karsais ermordet. Der Präsident selbst entging im September nur knapp einem Attentat.

Verlässliche Einnahmequelle

Ob ein ähnliches Szenario auch im Irak droht, bleibt abzuwarten. Die Spannungen innerhalb der verschiedenen Volksgruppen lassen nichts Gutes ahnen. Dennoch sind die Startbedingungen des Golfstaates ungleich besser: Die 24-jährige Gewaltherrschaft von Saddam Hussein hat zwar alle demokratischen Strukturen vernichtet, und 13 Jahre internationaler Sanktionen haben eine zum Teil tief verarmte und stark geschwächte Bevölkerung zurückgelassen; doch die Menschen sind gebildet, die Infrastruktur ist noch immer relativ intakt, und die reichen Ölfelder könnten eine verlässliche Einnahmequelle bilden.

In Afghanistan funktionierte dagegen nach 23 Jahren Bürgerkrieg und der ebenso grausamen wie bornierten Taliban-Herrschaft nichts mehr: Es gab weder einen Polizeiapparat noch eine Armee, keine funktionierenden Verwaltungs- oder Regierungsstrukturen und schon gar nicht funktionstüchtige Gebäude dazu. Unter den Taliban wurden nur 38 Prozent der Jungen und drei Prozent der Mädchen eingeschult.

"Auszahlungsrate bei weitem niedriger"

Obwohl an allen Ecken und Enden dringender Handlungsbedarf besteht, kann Afghanistan nur auf relativ geringe Finanzmittel zurückgreifen. "Im Vergleich zu anderen ehemaligen Konfliktregionen wie Bosnien, Ruanda und Kosovo liegt die Auszahlungsrate in Afghanistan bei weitem niedriger als in anderen Ländern", beklagt sich Finanzminister Aschraf Ghani.

Anfang vergangenen Jahres hatte die internationale Geberkonferenz Kabul 4,5 Milliarden Dollar binnen zwei Jahren zugesagt. Den Finanzbedarf für den bei weitem besser gestellten Irak taxierte der renommierte US-Wirtschaftwissenschaftler William Nordhaus auf ein Vielfaches: Für den Wiederaufbau Iraks müssten in den kommenden zehn Jahren mindestens hundert Milliarden Dollar veranschlagt werden, die Summe könne sich aber auch auf das Sechsfache steigern, rechnete der Yale-Professor vor. (afp)